Mitski – Be The Cowboy (2018)

Am Anfang stand der Cowboy. Und auch heute wieder: Überall Cowboys, diese prototypischen Alphatiere, die alles in Schutt und Asche legen und trotzdem am Ende als Helden dastehen. Dieser menschgewordene amerikanische Traum, kompromissloser Repräsentant des Go-West, Heldenfigur im Kampf um die Freiheit.

Erschienen am 17. August 2018 auf Dead Oceans

Text: David Hutzel

Für Mitski Miyawaki hat ihr fünftes Album „Be The Cowboy“ damit rein gar nichts zu tun. Das hat sie zumindest kurz nach dem Release im Interview mit Trevor Noah betont. Ihr gehe es vielmehr um den Cowboy als Rolle, den buchstäblichen Mythos, das Gehabe, wie es der Marlboro-Cowboy und Clint Eastwood repräsentieren. Genau diese Unterscheidung zwischen abstrakten Figuren und konkretem Gestus formt den zentralen Widerspruch, der sich durch beinahe jede Sekunde des Albums zieht: Ist das hier nicht ein unzulässiges Auseinanderdividieren zweier Dinge, die man gar nicht komplett getrennt voneinander betrachten kann? Das Intime, Private und das Öffentliche, Abstrakte? Mitskis Songtexte klingen zunächst einmal extrem persönlich, wenn sie Zeilen wie diese in „Washing Machine Heart“ singt: „Baby, will you kiss me already, and / Toss your dirty shoes in my washing machine heart / Baby, bang it up inside.“ Aber sind das hier wirklich echte, an Menschen adressierte Lovesongs – oder geht es Mitski dabei nur um sich selbst und um ihr Liebstes, die Musik?

Ein kleiner Vorgeschmack auf Youtube:

Die Platte hüllt diese Frage in einen hübschen Pop-Schleier ein. Im Vergleich mit dem Vorgänger „Puberty 2“ stellt „Be The Cowboy“ nur noch selten die Gitarre in den Mittelpunkt, das noisige Rauschen macht oft dem Klavier Platz, das natürlich noch immer von einem üblichen Band-Lineup umgeben ist. Das sorgt dann auf der Ebene des Sounds für eine großartige Vielfalt, wenn im Opener „Geyser“ die Drones wummern oder „Remember My Name“ plötzlich einen nur von Bass und Drums instrumentierten Punk-Rock-Singalong-Teil freilegt. Das Songwriting trägt viele kleine verschrobene Twists in sich – und trotzdem stehen hier vierzehn anschlussfreudige Pop-Songs, von denen trotz einer durchschnittlichen Dauer von gut zwei Minuten immer etwas hängenbleibt.

Das ganze Album bei Spotify: 

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Die Nerven – Fake (2018)

Um das Stuttgarter Trio „Die Nerven“ war es nie wirklich still. Zwischen ihrem Debütalbum „Asoziale Medien“ und ihrem vierten Werk namens „Out“ lagen knapp drei Jahre. Umso größer war die Erwartungshaltung, als nach weiteren zweieinhalb Jahren Album Nummer fünf angekündigt wurde.

 

Erschienen am 20. April 2018 bei Glitterhouse

Text: Mischa Kissin

In der Zwischenzeit hatten sich alle drei Bandmitglieder ihren diversen, teilweise in den Himmel gelobten Nebenprojekten wie „All diese Gewalt“, „Karies“ oder „Peter Muffin“ gewidmet und 2017 das Live-Album „Live in Europa“ herausgebracht. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde nicht nur der deutschen Musikkritik klar, dass die wohl beste Liveband des Landes schlichtweg eine unzähmbare, brachiale Urgewalt ist, die sich mit ihren hypnotisierenden Shows tief in die Herzen ihres Publikums spielt.


Ein kleiner Vorgeschmack auf Youtube:

 

Die vermeintliche Politisierung des zuvor diesbezüglich nicht besonders auffälligen Trios bleibt auf ihrer fünften Platte, die den heutzutage recht aufgeladenen Titel „Fake“ trägt, für das breite Publikum aus. Das Politische passiert zwischen den Zeilen und offenbart sich nur durch die subversive Rezeption der Hörerschaft. Im Fadenkreuz steht dabei genauso der muffige Rand der Gesellschaft wie der narzisstische moderne Mensch, der sich ausschließlich durch Selbstoptimierung definiert. Musikalisch dominieren die altbewährten Strategien, das Wechselspiel zwischen Leisem und Lautem verschärft sich auf dem von Ralv Milberg in der Toskana aufgenommenen Meisterwerk, das dadurch eine fast schon poppige Finesse bekommt. Dabei wäre die Bezeichnung „Pop“ nur eine infame Unterstellung, die sich ob der nicht existenten Massentauglichkeit der „am miesesten gelaunten Rockband“ des Landes (Die Zeit) als haltlos erweist.


Das ganze Album auf Bandcamp:


 

 

Molly Burch – First Flower (2018)

Nach einem vielversprechenden Debüt liefert Molly Burch ihr Meisterstück ab: First Flower ist zurecht auf gefühlt jeder Jahresbestenliste vertreten.

 

Erschienen am 5. Oktober 2018 auf Captured Tracks

Text: Samira Wacker

2018 war ein gutes Jahr für weibliche Künstlerinnen: Da wäre einmal das grandiose Comeback von Robyn, die uns nach 8 Jahren quasi aus dem Nichts „Honey“ um die Ohren haut, Hinds, die sich nach dem diesjährigen Dockville Festival endgültig in mein Herz gespielt haben und schlussendlich Cardi B, die uns mit ihrer Erfolgsstory zeigt, dass es doch noch Märchen gibt. Auch wenn sie 2018 im Stripclub und nicht hinter den sieben Bergen beginnen. Bei der Auswahl an starken Alben möchte ich euch aber eine Künstlerin empfehlen, die dieses Jahr leiser, aber nicht weniger bestimmt, verzaubert hat – Molly Burch. Die 27-Jährige wuchs in der Schauspielszene LAs auf, entschied bewusst gegen den Trubel der City of Angels und zog nach North Carolina, um dort Jazzgesang zu studieren. Ihre Labelheimat hat sie bei Captured Tracks gefunden. Nach einem vielgelobten Debüt, indem sie vorrangig eine gescheiterte Liebesbeziehung verarbeitete, erschien im Herbst nun das schwierige zweite Album. Die instrumentale Ummantelung auf „First Flower“ ist warm, kleinteilig und trotzdem zurückgenommen genug, um dem Gesang genug Freiraum zu geben. Der Sound erinnert an verträumte 60s-Balladen, aber auch Einflüsse von Gesangsgrößen wie Nina Simone, die Burch als große Inspiration nennt, kann man heraushören. Stimmlich verfügt Molly über eine große Bandbreite, was sicher auf ihre professionelle Ausbildung zurückzuführen ist. Der Gesang wirkt stellenweise brüchig und weich, in anderen Momenten der Platte stark und bestimmt. Die ganz eigene Art, Worte wie Kaugummi langzuziehen, um sie danach abrupt abzusägen, ist beeindruckend. Mit den Worten „Why do I care what u think? You‘re not my father.“ beginnt das Album sofort mit einem Highlight. „Candy“ ist die bittersüße, tanzbare Abrechnung mit einer toxischen Beziehung.


Ein kleiner Vorgeschmack auf Youtube:

Während Songs wie „Without You“ und „Dangerous Place“ sich, wie bereits auf ihrem Debüt, mit gescheiterter Liebe auseinandersetzen, überzeugt „First Flower“ mit einer thematisch größeren Bandbreite. Besonders hervorzuheben ist hier „To The Boys“, der mit seiner sanften aber bestimmten Fuck-You-Attitüde begeistert. “I don’t need to scream to get my point across/I don’t need to yell to know that I’m the boss.” – Zeilen wie diese zeigen, dass sich Molly Burch während der Arbeit an „First Flower“ mit den eigenen Ängsten auseinandergesetzt und Friede mit ihren vermeintlichen Schwächen geschlossen hat. Diese emotionale Transparenz ist, was „First Flower“ als Album dieses Jahr so besonders macht – ein 11-Track-starkes Loblied auf die Softness. Während das Debüt konsequent von Herzschmerz durchzogen war, gibt es auf dem Nachfolger mit „Candy“, „Wild“ und „To The Boys“ auch Momente des Triumphes, eine Feier der eigenen Imperfektion. Gesangliche Finesse gekoppelt mit der verträumten musikalischen Ummantelung überzeugen im Zusammenspiel. „First Flower“ hinterlässt ein warmes und zufriedenes Gefühl, macht Lust aufs Verlieben und überzeugt auf Platte genauso wie live.


Das ganze Album bei Bandcamp:


 


Nebenan im Plattenregal:

The Saxophones – Songs of the Saxophones (2018)
Jess Williamson – Cosmic Wink (2018)
Anna St. Louis – If Only There Was A River (2018)

Kali Uchis – Isolation (2018)

Nach ihrer EP „Por Vida“ wurde Kali Uchis schon 2015 als neue Pop-Hoffnung gefeiert. Im April 2018 erschien das Debütalbum „Isolation“ der kolumbianischen US-Amerikanerin, das zwar Assoziationen zu modernem Neo-Soul zulässt, aber viel mehr ist als ein weiteres R&B-Album im 90er-Jahre Nostalgiegewand.

Erschienen am 13. April 2018 bei Virgin EMI

Text: Schira Kissin

„Isolation“ ist eine Auseinandersetzung Uchis mit der Einsamkeit, die sie als Teenager erfahren hat. Nach einem Streit mit den Eltern zieht die damals 17-jährige aus und schläft monatelang in ihrem Auto. In dieser Zeit entstehen Gedichte, die später zu Songtexten wie dem von „Loner“, erschienen auf der EP „Por Vida“, oder „Killer“, dem Schlusstrack des Albums, werden. „If you loved me, you wouldn’t put me through it“, singt Uchis mit ihrer zart rauchigen Stimme in „Killer“ über missbräuchliches Verhalten innerhalb einer Beziehung, die sie über fünf Jahre führt und durch die sie sich tiefer von ihrer Umgebung isoliert.

Ein kleiner Vorgeschmack auf Youtube:

„I’m packing all my bags and leaving it behind / there’s no tracking where I’m going” kündigt Kali Uchis im Intro „Body Language“ an und setzt damit nicht nur inhaltlich sondern auch musikalisch den Ton für „Isolation“. Innerhalb der nächsten knappen Stunde überrascht die Sängerin immer wieder mit verschiedensten Einflüssen und scheut nicht davor zurück, sich dafür die ein oder andere Starbesetzung mit ins Boot zu holen. Von Rapperin BIA, mit der sie in „Miami“ den American Dream besingt, zu The Internet‘s Steve Lacy in der Selbstfeierungshymne „Just a Stranger“, Tame Impala’s Kevin Parker, der die träumerischen Sounds auf „Tomorrow“ einspielt, Jorja Smith in der neo-souligen Single „Tyrant“, Tyler The Creator und Funk-Legende Bootsy Collins in der Hitsingle „After The Storm“ bis hin zu Damon Albarn, mit dem sie sich auf melancholischste Art bei „In My Dreams“ eine Welt erträumt, in der die einzige Sorge die Wahl des Outfits ist.

Auf ihrem Debütalbum überzeugt Uchis mit Einflüssen aus Bossa Nova, Soul, Reggaeton und Funk und erschafft so ein überraschend kohärentes Werk, das sowohl instagramsüchtige Teenies als auch den ein oder anderen selbsternannten Musikexperten überzeugt.


Das ganze Album bei Spotify:


Nebenan im Plattenregal:

Natalie Prass – The Future and the Past (2018)
Homeshake – Fresh Air (2017)
Slow Dancer – In A Mood (2017)

Phosphorescent – C’est la vie (2018)

Musikalische Landflucht: Auf seinem siebten Studioalbum als Phosphorescent genießt Matt Houck vor allem die neue Harmonie in seinem bisher so unsteten Leben.

Erschienen am 5. Oktober 2018 bei Dead Oceans

Text: Alexander Graf

Irgendwie ja beruhigend, dass sich auch Künstler mit den ganz banalen Fragen des Älterwerdens konfrontiert sehen. Phosphorescent-Mastermind Matthew Houck und seiner Frau und Keyboarderin Jo Schornikow ging es jedenfalls vor ein paar Jahren ähnlich wie den meisten hippen Großstadtpärchen mit Ende 30. Das Problem: Warum eigentlich noch in der überteuerten aber winzigen Kiezbutze in New York City residieren, wenn man seine Abende sowieso nur noch mit Windelwechseln oder Netflix verbringt? Die beiden packten also den Nachwuchs ein und ließen sich in Nashville, Tennessee, nieder. Ein Neuanfang im Heartland der amerikanischen Musik – für den Songwriter ein Umzug mit Symbolwert, zurück zu den Wurzeln seiner getriebenen Americana-Gospels und fragilen Country-Elegien. Dort verbrachte Houck dann die Zeit seit der Veröffentlichung seines gefeierten letzten Albums Muchacho (2013) damit, sich in aller Seelenruhe ein neues Studio in einem alten Lagerhaus aufzubauen und an der nächsten Platte zu arbeiten.  

Videotipp: Live on KEXP

Der 40-jährige Zausel aus den Südstaaten hat also offenbar endlich sein Glück gefunden – und das hört man. Nach fast 20 Jahren im Kampf mit den eigenen Dämonen, geschwächt von exzessiven Touren, Trennungen, Krankheiten und Großstadtneurosen, klingt Matt Houck auf C’est la vie erstmals geläutert, gesund und zufrieden. Man gönnt es ihm von Herzen. Auch wenn diese neue innere Ruhe der Platte die von Phosphorescent gewohnten inhaltlichen Abgründe und Untiefen nimmt. Es ist in der Kunst nun mal wie im echten Leben: Die allzu schönen Geschichten langweilen meist recht schnell.

Klanglich bleibt das Ganze immerhin ebenso gewohnt eigensinnig und kunstvoll. Schließlich hat es kaum ein anderes musikalisches Projekt in den vergangenen Jahren so geschickt verstanden, gängige Country-Klischees zu brechen. Wer also auf seufzende Pedal-Steel-Gitarren, hymnische Chorgesänge und nasale Gitarrensoli steht, aber auf den üblichen Kitsch gerne verzichten kann, der ist bei Phosphorescent nach wie vor an der richtigen Adresse. Dennoch: Nach C‘est la vie verdient sich Matt Houck vor allem eine Auszeichnung für sein Lebenswerk – Einsteiger greifen besser zu Muchacho oder dem Vorgänger Here’s to Taking it Easy.


Das ganze Album auf Spotify:


Nebenan im Plattenregal:

Cordovas – That Santa Fe Channel (2018)
Damien Jurado – The Horizont Just Laughed (2018)
Okkervil River – In the rainbow rain

The New Year – Snow (2017)

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VÖ: 21.4.2017 auf Undertow Music Collective
Klingt fast ein bisschen wie: Low, Red House Painters, Wye Oak
Passt gut zu: Regenwetter, Ledercouch, Rauch

Text: Mischa Kissin

Wenn Lieblingsbands nach einem guten Jahrzehnt mal wieder ein Album veröffentlichen, stellt man sich bei aller Vorfreude oft die Frage, wohin das denn führen soll. Denn eine Band, die sich eigentlich auf ihrem Legendenstatus ausruhen könnte, stellt diesen mit jeder neuen Platte in Frage. Die Gebrüder Kadane, die den Kern der Band bilden, bewiesen schon zu Zeiten des Vorgängerprojekts Bedhead, dass sich die Langsamkeit und das Innehalten manchmal auszahlen können. Nicht ganz zu Unrecht wurden sie damit in die Genreschublade „Slowcore“ gesteckt, was in Anbetracht der Frequenz ihrer Veröffentlichungen eine ganz neue Note bekommt. Vor allem bei Gruppen wie The New Year, die sich nach Außen hin vor allem durch Unauffälligkeit auszeichnen, drängt sich umso mehr die Sorge auf, dass sich hinter der neuen Veröffentlichung ein komplett aus der Reihe fallendes, liebloses Alterswerk verbirgt. Zum Glück bewahrheitet sich im Fall von ‚Snow‘, Nachfolgewerk des neun Jahre zuvor erschienenen selbstbetitelten Vorgängers, keine dieser Befürchtungen.

The New Year machen auf Snow genau dort weiter, wo sie aufgehört haben: Das musikalische Fundament ist die Kombination aus langsamen Tempi und zurückhaltenden Arrangements. Der verhältnismäßig leise Gesang versteckt sich ein wenig hinter der staubtrocken aufgenommene Rhythmusgruppe und dynamischen Gitarren. Klangliche Lücken werden bewusst nicht gefüllt und wie aus dem Nichts kapselt sich manchmal das ein oder andere Gitarrensolo von der perfekten Symbiose der Instrumente ab, ohne dabei die klangliche Homogenität zu durchbrechen. Eines der Markenzeichen sind vollkommen beiläufige Taktwechsel, die zum Beispiel den titelgebenden Track prägen und schon aus der Zeit von Bedhead bekannt sind.

Dennoch gibt es Überraschungen wie zum Beispiel die wiederholte Suche nach Eingängigkeit oder den Einsatz eines Fender Rhodes. Im Kosmos einer Band, die sich durch radikalen Minimalismus auszeichnet, ist das wirklich schon sehr viel. Aber auch textlich gesehen ist melancholische Gelassenheit der entscheidende Pfeiler. Sänger und Gitarrist Matt Kadane, der inzwischen als Geschichtsprofessor tätig ist, fordert uns auf der vorab erschienenen Single „Recent History“ dazu auf, unseren egozentrischen Blick auf das Weltgeschehen zu überdenken: „There’s nothing wrong with the 21st century that wasn’t wrong with the 20th too.” Und was vor zehn Jahren auf dem letzten Album von The New Year gut und richtig war, ist heute immer noch gut und richtig.

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