Hand Habits – Fun House (2021)

Schon von weitem siehst du die Vögel. Ein Schwarm wie ein Schleier über der Landschaft, seidig und fließend, schwarz und silber. Ja ok, jetzt ist es halt Herbst. Noch ein paar Sekunden, dann verschwindet die Sonne endgültig hinter den Bäumen. Du siehst noch das Licht auf den Hügeln da hinten, aber hier auf dem Feld ist es schon schattig, dunkel, kalt. Deine Jeansjacke hast du heute Nachmittag aus dem Schrank geholt, als es noch sonnig und warm war. Du gehst etwas schneller, nach Hause ist es eine knappe Stunde.

In der Küche stellst du erst mal Wasser auf, dann ziehst du deinen wärmsten Pulli an und setzt dich in den Sessel. Draußen fallen schon die ersten Tropfen, als du die grünen Blätter bei ihrem Tanz in der Kanne verfolgst. Langsam beginnt der Tee messingfarben zu leuchten. Du schenkst dir eine Tasse ein und beobachtest den Regen, der sich an der Fensterscheibe seinen Weg nach unten sucht. Gut, dass es ein neues Album von Hand Habits gibt.

Nebenan im Plattenregal:
Hand Habits – Placeholder (2019)
Anna Burch – If You’re Dreaming (2020)
Outer Spaces – Gazing Globe (2019)

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Cate Le Bon – Reward (2019)

Zuhören wird belohnt: Cate Le Bon gelingt auf ihrem neuen Album Reward eine seltene Verflechtung aus experimentellen Strukturen und überzeugenden Popsongs.

Mexican Summer / 24. Mai 2019 / Text: Caroline Thiemann

Um ganz ehrlich zu sein: Das Erste, was mich an Cate Le Bon fasziniert hat, war ihr Promo-Foto. Was für eine Ausstrahlung! Was für ein Ausdruck von Eigensinn! Ich wollte ihre Musik direkt mögen. Derartige Vorerwartungen allein aufgrund eines Werbefotos aufzubauen würde ich im Allgemeinen übrigens nicht weiterempfehlen – die Wahrscheinlichkeit positiver Bestätigung ist nicht gerade bombastisch, die etwaige Enttäuschung dafür unangemessen tief. Wenn es aber nun einmal passiert ist, ist nicht reinhören auch keine Lösung.

Cate Le Bon hat, gänzlich außerhalb meiner Wahrnehmung, bereits vier Alben veröffentlicht. Es ist aber ihr aktuelles Werk „Reward“, das die Herzen von Musikjournalist*innen international höher schlagen lässt. Der erste Track „Miami“ erinnert mich ein bisschen an Kate Bush und transportiert eine faszinierende Mischung aus verspielter Leichtigkeit und dumpfer Schwere. Diese gedämpfte Grundstimmung zieht sich auch durch die folgenden Tracks und drückt die poppigen, luftigen Hooks in eine angenehme Melancholie. Mit „Mother’s Mother’s Magazin“ hebt sich der melancholische Schleier etwas und macht einer spannenden Klangschärfe und gewissen Kantigkeit Platz.

Cate Le Bons klare Stimme, die sich zum Beispiel in „Here it comes again“ zwischen Direktheit und Zerbrechlichkeit in kunstvolle Höhen aufschwingt um kurz darauf samtig tief über den komplexen Arrangements zu liegen, ist von einer geradezu theatralen Ausdrucksstärke. Sie bringt einen poetischen erzählerischen Sog mit sich, der durch die hingetupften Bläser, stakkatoartigen Rhythmen und tausend kleinen Einfälle, die in jedem weiteren Titel stecken, gleichzeitig gebrochen und unterstrichen wird. So stehen am Ende zwar einige Titel wie „Miami“ oder „Magnificent Gestures“ etwas mehr heraus als andere, das Album ist aber eindeutig ein Gesamtkunstwerk. Und ja, in der Tat eins, das ziemlich nah an meinen Eindruck des Fotos herankommt: gleichzeitig stark und zerbrechlich, bunt und trist und von einem faszinierenden Eigensinn.

Konzert-Tipp:
So 17.11.19 / Karlstorbahnhof Heidelberg

Wilder Maker – Zion (2018)

Gabriel Birnbaum und Katie von Schleicher sind keine gänzlich unbekannten Gesichter in der Indieszene der Ostküste. Mit der ersten LP ihres gemeinsamen Projekts Wilder Maker setzen sie dem künstlerischen Biotop Brooklyn aus dem Stand ein musikalisch-literarisches Denkmal im Albumformat.

 

Erschienen am 13. Juli 2018 bei Northern Spy Records

Wer diese Platte als ambitioniert bezeichnet, untertreibt maßlos: Gabriel Birnbaum nennt etwa James Joyce als Inspirationsquelle für seine Texte. Vermutlich bezieht er sich dabei zwar weniger auf ganz dicke Prügel wie Ulysses oder Finnegan’s Wake. Aber auch die Dubliners sind kein bescheidener Maßstab, um das Künstlerleben im Brooklyn des 21. Jahrhunderts als literarische Grundlage für ein Konzeptalbum aufzuarbeiten. Ohnehin kann der Stellenwert der Worte bei diesem Projekt gar nicht genug betont werden. Denn dass die Lyrics hier zunächst ohne vorauseilenden Gehorsam vor der musikalischen Verwertbarkeit entstanden sind, erkennt man schon an den epischen Längen – und Textmengen – mancher Songs. An den Songtiteln lassen sich außerdem bereits die inhaltlichen Eckpunkte ablesen: Beschissene Jobs, komplizierte Beziehungskisten und prekäre Lebensverhältnisse hier, euphorische Erlebnisse, grenzenlose Selbstverwirklichung und die obligatorischen Drogenparties dort.

Ein kleiner Vorgeschmack auf Youtube:

Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass die Textverarbeitung das musikalische Geschehen immer wieder in eine rein begleitende Rolle drängt. Das könnte in die Hose gehen, wäre das Bandgefüge nicht mit einer unglaublich fein abgestimmten Dynamik gesegnet. Außerdem findet das Kollektiv um Katie von Schleicher und Gabriel Birnbaum immer die passende musikalische Inszenierung für jeden lyrischen Twist, zwischen psychedelischer Wucht und kammermusikalischen Minimalismus ist alles möglich. Vor allem aber brechen die Songs zuverlässig ins Hymnische aus, wenn das Versmaß ein bisschen Platz lässt für etwas großzügigere Melodiebögen bietet. Wer möchte, kann sich also stundenlang mit den erzählerisch eingesetzten Stilzitaten und einem insgesamt ziemlich einzigartigen Detailreichtum auseinandersetzen. Aber auch ohne besondere Aufmerksamkeit für den tieferen Sinn des Ganzen ist Zion eines Sammlung von faszinierend unterschiedlichen Songs, die einzeln betrachtet ausnahmslos überzeugen und gemeinsam den schillernden Kosmos einer Stadt atmosphärisch dichter einfangen als so mancher sehenswerte Film.


Das ganze Album auf Bandcamp:


Andere Städtereisen im Albumformat:

LA Salami – The City Of Bootmakers
Olden Yolk – Olden Yolk
Okkervil River – In the rainbow rain

D.D Dumbo – Utopia Defeated (2016)

DD Dumbo

VÖ: 7.10.2016 auf 4AD/Liberation Music
Klingt fast ein bisschen wie: Sting, Yeasayer, Flock of Dimes, David Byrne
Passt gut zu: Autobahn, Sonnenaufgang, Kaffeebecher

Ein weiteres faszinierendes Debüt aus dem Jahre 2016 kommt von Oliver Hugh Perry, einem jungen Multi-Instrumentalisten und Musikgenie aus der australischen Provinz. Viele Musiker, die derart mit Talent gesegnet sind, verlieren sich im Zwang zur Progressivität, im Zurschaustellen ihrer Virtuosität oder brauchen Jahre, um ihre Kreativität unter Kontrolle zu bringen und für uns Musikhörer erfassbar zu machen. So etwas passiert hier nicht, denn hinter dem seltsamen Namen mit der noch seltsameren Interpunktion verbirgt sich ein unglaublich ausgereiftes Einmann-Bandprojekt, dass sich vor allem auf die extrem ausdrucksstarke Stimme und die charakteristische zwölfsaitige Gitarre konzentriert. Die Arrangements sind extrem detailreich, aber keineswegs aufdringlich und machen aus ohnehin schon großartigen Songs kleine popmusikalische Kunstwerke. Ein grandioses Debüt und vermutlich eine der besten Platten des Jahres 2016.