Diesmal mit Big Thief (Bild), Faye Webster, TK & The Holy Know-Nothings und Bedouine: Unsere Vorschau auf die Neuveröffentlichungen im Mai 2019.
Text: Tobias Breier / Photo Credit: Michael Buishas
Früher Bescheid wissen mit The Soft Rock Café: Ab sofort gibt es jeden Monat eine kleine Vorschau auf das, was an neuen Platten auf uns zu kommt. Auch im Mai konnten wir für euch aus dem Vollen schöpfen, es gibt noch jede Menge Veröffentlichungen die wir erst mal schweren Herzens aussortieren mussten. Was natürlich keineswegs bedeutet, dass sie nicht im Laufe des Monats doch noch berücksichtigt werden!
Big Thief: U.F.O.F. (3. Mai 2019 / 4AD)
Schon vor dem Release ihres dritten Albums sind Big Thief eine der wichtigsten Bands unserer Zeit. Adrienne Lenker, Buck Meek und Co haben mit ihrem treffend betitelten Debüt Masterpiece und dem nur ein Jahr später veröffentlichten zweiten Album Capacity bewiesen, dass sie zeitlosen Indie Rock mit zeitgenössischen Themen so krachend verbinden wie kaum jemand anderes. Auf der neuen Platte wird es ruhiger, folkiger und noch weirder als ohnehin schon. Extrem empfehlenswert!
Faye Webster: Atlanta Millionaires Club (24. Mai 2019 / Secretly Canadian)
So richtig aus dem Niemandsland der zahlreichen Indie-Folkies konnte sich Faye Webster mit ihren bisherigen Veröffentlichungen nicht wirklich herausstechen. Das dürfte sich mit ihrer neuen Platte ändern, aus der schon eine ganze Reihe vielversprechender Singles vorab zu hören sind. Die schönste ist vielleicht Room Temperature, eine liebevolle Hommage an Neil Youngs Ballade „Harvest Moon“ mit Meeresrauschen, Hawaii-Gitarren und doppeldeutigen, lasziv gehauchten Zeilen.
TK and the Holy Know-Nothings: Arguably OK (24. Mai 2019 / Mama Bird)
Taylor Kingman hat als Rampensau von The Hill Dogs sowie solo mit und ohne die grandios benannten The Holy Know-Nothings schon eine Menge erlebt. Davon erzählt er am liebsten in Form von halb gesungenen und halb am Mikrofon vorbeigenuschelten Phrasen mit reichlich zensurverdächtigem Vokabular, lose verteilt über folkige bis countryeske Rock-Grooves im wildromantischen Niemandsland zwischen The Band, The Flying Burrito Brothers und Grateful Dead.
Bedouine: Bird Songs of a Killjoy (31. Mai 2019 / Spacebomb)
2017 hat Bedouine anlässlich ihres Debüt-Album eine der unglaublichsten Vorgeschichten erzählt, die je zu einer Platte in Umlauf gebracht wurden – mehr dazu in unserem Artikel zur Veröffentlichung. Auf Bird Songs of a Killjoy konzentriert sie sich insgesamt noch mehr als bisher auf intime Songdetails, wagt sich aber mit Songs wie Echo Park auch immer mehr in die psychedelischen Gefilde des Indie-Folks.
Als schrulliger Gitarrist von Big Thief ist Buck Meek spätestens seit dem grandiosen Auftritt bei NPR’s Tiny Desk Concert bekannt. Auf seinem Debüt als Solokünstler überzeugt er aber vor allem als poetischer Songwriter mit Blick für alltägliche Abgründe.
Wer ausgiebiges Gegniedel auf der elektrischen Gitarre wie bei seiner Arbeit für Big Thief erwartet hat, wird vielleicht ein bisschen enttäuscht sein. Denn das erste Album von Buck Meek auf dem geschmackvollen texanischen Label Keeled Scales definiert den Topos des betont beiläufigen Klampfenspiels neu. Die Songs sind eher spärlich instrumentiert, nasal am Mikrofon vorbeigenuschelt und enden gefühlt mitten in der dritten Strophe auf irgendeinem Akkord. Das wirkt oft nicht nur skizzenhaft, sondern auch wie ein Intro zu einem Song, der dann doch nicht kommt. Die kalkulierte Unfertigkeit mag für manche Hörer unbefriedigend sein, entwickelt aber durchaus seinen ganz eigenen Reiz.
Hier und da kriegt Buck Meek allerdings locker die Kurve und hat mit Cannonball und Maybe sogar zwei kleine Hits im Gepäck, die eine grandiose Chemie innerhalb der Band einfangen und ordentlich rocken. Neben dem Slowmo-Blues Sue und der abschließenden Countryballade Fool me sind es außerdem die einzigen Nummern, bei denen die Miniaturlänge von zweieinhalb Minuten überschritten wird. Insgesamt ein sehr kurzes, aber auch kurzweiliges und intensives Album, in dem ganz unscheinbar genug gute Ideen für ein Doppelalbum versteckt sind.
Nur ein Jahr nach ihrem überragenden Debütalbum bringen Adrienne Lenker und ihre Freunde schon die zweite Platte heraus. Wenn sie weiterhin so gute Songs schreibt, darf das Quartett diesen Rhythmus gerne beibehalten.
VÖ: 9.6.2017 auf Saddle Creek
Klingt fast ein bisschen wie: Angel Olson, PJ Harvey, Mitski
Stichworte: Nachts / Regen / Whisky / Alleine
Es ist etwas ungewöhnlich, dass eine Band weniger als ein Jahr nach ihrem Debüt ein zweites Album veröffentlicht. Wer die Produktionszeiträume kennt, kann sich denken, dass große Teile des Nachfolgers schon vor der Veröffentlichung des Erstlings im Kasten gewesen sein müssen. Die Sängerin Adrienne Lenker erklärte das in Interviews mit einem kreativen Knoten, der im Studio geplatzt sei. Als das erste Album fertig eingespielt war, hatte sie schon wieder ein gutes Dutzend Songs im Kopf und wollte einfach weiter aufnehmen, bevor es wieder auf Tour ging. Als im April mit Erscheinen der Vorabsingle Mythological Beauty auch gleich das neue Album angekündigt wurde, war die Überraschung groß. Und gleichzeitig musste man befürchten, dass die Band sich verzockt hatte, denn der Song ist ein wenig langatmig, sehr düster und passte mit seinem winterlichen Video überhaupt nicht zur Frühlingsstimmung vor Ostern.
Mit dem Erscheinen der zweiten Single Shark Smile deutete sich dann aber bereits an, dass Big Thief da weitermachen, wo sie aufgehört hatten. Und nun machte auch die erste Vorabsingle Sinn, denn offensichtlich ging es bei der Auswahl vor allem darum, die Entwicklung der Band exemplarisch darzustellen. Die traditionell geschulte, aber extrem kreative Gitarrenarbeit trägt weiterhin die mehr oder weniger folkigen Indie-Rocksongs, die jeweils passend zu den poetisch formulierten Gedanken und Geschichten im Text sowohl melancholisch als auch euphorisch ausfallen können. Doch die dunklen Farben sind noch dunkler geworden und die hellen noch heller, die Intimität und Intensität der Texte ist noch extremer.
Eine schonungslose Auseinandersetzung mit sich selbst in der Musik wirkt bei vielen Künstlern befremdlich, nicht so aber in diesem Fall. Denn obwohl Adrienne Lenker erst 25 Jahre alt ist, hat sie schon eine Menge erlebt und musste sich alle Freiheiten, die ein Leben als Musiker verlangt, hart erkämpfen. Die tragischen Seiten ihrer fast romanhaften Vita, aber auch das große Glück, das sie in ihrer Arbeit erfährt, spiegelt sich in jedem Ton und jedem Takt der Musik wieder. Und wenn es so weitergeht mit der Inspiration, darf sie mit Big Thief gerne jedes Jahr ein neues Album veröffentlichen.
Von Juli bis September tut sich auch auf dem Musikmarkt ein Sommerloch mit epischen Ausmaßen auf. Aber keine Sorge, allein im Juni kommen so viele tolle Platten heraus, dass man damit locker bis zum Herbst durchhält. Viele Bands wollen nämlich unbedingt noch neue Musik veröffentlichen, bevor es richtig losgeht mit der Festivalsaison.
Irgendwann hat es mal ein schlauer Kopf von einer großen Plattenfirma gemerkt: Die Leute kaufen einfach viel weniger Musik, wenn sie sich irgendwo am Strand von der Sonne rösten lassen. Wenn man im Sommer in einen Plattenladen geht, sind in dem Regal mit den Neuerscheinungen deshalb oft genauso wenige Scheiben wie Wolken am blauen Himmel.
Das heißt aber nicht, dass im Sommer weniger Musik gehört wird. Gerade auf Reisen ist ein gutes Album immer noch eine der schönsten und beliebtesten Arten, sich die Zeit zu versüßen, egal ob im Autoradio oder mit Kopfhörern im Flugzeug. Und wer nicht wegfahren kann, nutzt vielleicht ab und zu die sommerliche Einsamkeit im Büro, um die Computerboxen mal richtig aufzudrehen und einen akustischen Kurzurlaub anzutreten. Damit ihr in jedem Fall gut über den Sommer kommt, sind die Neuerscheinungen für Juni im Soft Rock Café schon mal vorab hoch und runter gelaufen und dabei haben sich ein paar besonders heiße Tipps herauskristallisiert.
1. TOPS – Sugar at the gate
Um ihr drittes Album aufzunehmen, ist die bezaubernde Jane Penny mit ihren Jungs extra aus der Indie-Metropole Montreal nach LA gezogen. Das hat sich gelohnt, denn ihr Gitarrenpop klingt luftiger und sonniger denn je, auch wenn die Texte keineswegs so oberflächlich sind, wie es die sorglose Musik der Band vielleicht beim ersten Hören vermuten lässt. Das perfekte Album für einen Nachmittag am Strand oder für diesen Moment im Büro, wenn man einfach mal die Augen schließt um von einer einsamen Insel zu träumen.
Das Album und einen ausführlichen Artikel findet ihr ab dem 2.6.2017 hier!
2. Big Thief – Capacity
Wer sich von melancholischer Musik leicht runterziehen lässt, sollte sich dieses Album vielleicht eher für den letzten Urlaubstag aufheben. Denn Adrienne Lenker aus Brooklyn und ihre detailverliebte Band machen nicht nur wunderschöne Rockmusik mit einem Hauch Folk, sondern befassen sich auch mit tiefschürfenden Fragen nach dem Sinn der menschlichen Existenz und kommen dabei nicht nur zu positiven Schlussfolgerungen. Aber dennoch oder auch gerade deswegen ist Capacity ein geniales Album, zum Beispiel für eine weintrunkene Nacht auf dem Balkon.
Das Album und einen ausführlichen Artikel findet ihr ab dem 9.6.2017 hier!
3. Michael Nau – Some Twist
Michael Nau ist einer dieser klassischen Slackertypen, die keinen Gedanken an ihre Karriere verschwenden und lieber mit viel Herzblut ein Album nach dem anderen veröffentlichen. Diese entspannte Herangehensweise ans Leben ist für einen Moment lang extrem ansteckend, wenn er mit tiefer Stimme seine verhallten Folkperlen vorträgt. Da entsteht eine unglaublich dichte Atmosphäre, die ganz ähnlich wie Big Thief eher in ein nächtliches Setting passt, aber deutlich hoffnungsvoller in die Zukunft blicken lässt.
Das Album und einen ausführlichen Artikel findet ihr ab dem 16.6.2017 hier!
4. Fleet Foxes – Crack-up
Die Fleet Foxes muss man eigentlich nicht mehr groß vorstellen. Es versteht sich von selbst, dass dieses Album nicht nur von vielen Musikhörern und Fans, sondern auch innerhalb der Musikszene sehnlichst erwartet wird. Jeder will wissen, was die vielleicht einflussreichste Folkband unserer Zeit als nächstes macht, welche künstlerischen Richtungsentscheidungen getroffen werden. Auf jeden Fall gibt es wieder mehr traditionelle Klänge und sehr ausschweifende Songs, weshalb sich das Album zum Beispiel hervorragend dazu eignet, eine längere Autofahrt durch ländliche Gebiete zu untermalen.
Das Album und einen ausführlichen Artikel findet ihr ab dem 16.6.2017 hier!
5. The Deslondes – Hurry Home
Wer schon von der geringsten Prise Pedal Steel und Mundharmonika einen allergischen Schock bekommt, sollte von dieser Platte die Finger lassen. Leider ist die Country-Phobie gerade in Deutschland weit verbreitet, sodass die Vielfalt dieser gigantischen Musikwelt und Bands wie The Deslondes aus New Orleans hier weitestgehend unbeachtet bleiben. Das ist schade, denn die Jungs knüpfen nahtlos an ihr fantastisches Debüt-Album an und schenken uns den perfekten Soundtrack für eine Grillparty mit alten Freunden, viel Barbecuesoße und noch mehr Bourbon auf Eis.
Das Album und einen ausführlichen Artikel findet ihr ab dem 23.6.2017 hier!
Natürlich ist das nur eine ganz kleine Auswahl von vielen tollen Platten, die im Juni auf uns zukommen werden. Darunter gibt es große Namen wie Alt-J, London Grammar, Phoenix, Sufjan Stevens, Tindersticks und Saint Etienne, aber auch Geheimtipps wie Algiers und Kevin Morby. Ich werde natürlich versuchen, euch hier jede Woche so gut es geht auf dem Laufenden zu halten und noch weitere Alben für den Sommer für euch zu aufzuspüren. Und für alle Fälle gibt es ja auch noch das mittlerweile recht stattliche Archiv, in dem sich aktuelle Veröffentlichungen der letzten Monate aber auch wiederentdeckte Scheiben aus lange vergangenen Zeiten verstecken. Für Musik ist also reichlich gesorgt, jetzt müsst ihr nur noch die Getränke eurer Wahl kaltstellen und den Sommer genießen.
Adrienne Lenker hat das Debütalbum ihrer Band als Meisterwerk betitelt und sich damit nicht nur Freunde gemacht. Mit ihrem krachendem Folkrock, bezaubernden Songs und extrem intensiven Texten wird die Platte ihrem Titel aber durchaus gerecht.
VÖ: 27.5.2016 auf Saddle Creek Records Klingt fast ein bisschen wie: Angel Olson, M. Ward, Bruce Springsteen Passt gut zu: Vollmond, Freunde, Bier
Viel wurde darüber diskutiert, ob eine Band ihr Debütalbum Masterpiece nennen darf. Das ist eigentlich schade, denn dieses Album bietet neben einer Menge unglaublich guter Musik auch eine Menge deutlich ergiebigere Gesprächsthemen. Zum Beispiel, dass die Popmusik wie die Gesellschaft allgemein verlernt hat, sich mit den elementaren, aber unendlich tiefen Emotionen zu befassen, die man bekommt, wenn man sich mit den existenziellen Fragen des Seins konfrontiert. Wenn man darüber nachdenkt, was man auf dieser Welt zu suchen hat, wer die eigenen Eltern eigentlich sind, welche Ängste und Abgründe sich hinter unserer Sucht nach Liebe verbergen und viele andere Dinge. Adrienne Lenker würde nie auf die Idee kommen, einen Song über etwas zu schreiben, das nicht diese Intensität besitzt. Das könnte sehr anstrengend und prätentiös sein, aber ihre Songs sind ebenso wie das Spiel ihrer Band so unfassbar gut und ehrlich gefühlt, dass man sich eigentlich einfach nur mitreißen lassen will, auch wenn’s manchmal wehtut. Wer so ein Album macht, darf ihm gerne jeden beliebigen Namen geben, Masterpiece ist in diesem Fall jedenfalls keine Anmaßung.
Das neue Album „Capacity“ erscheint am 9.6.2017 auf Saddle Creek Records!