Rolling Blackouts Coastal Fever: Hope Downs (2018)

Die Australier von Rolling Blackouts Coastal Fever haben mit zwei gefälligen, aber eher bodenständigen EPs nicht wirklich für große Aufmerksamkeit gesorgt. Das dürfte sich mit ihrer ersten LP schnell enden, denn nur ganz wenige Debüts sind hinsichtlich Durchschlagskraft und Tiefe derart ausgereift.

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Erschienen am 15. Juni 2018 auf Sub Pop

Wenn der Bandname nicht mal ganz auf das Cover passt, sollten eigentlich alle Warnleuchten angehen. Doch nach ein paar Takten ist der Name auf jeden Fall gespeichert, Rolling Blackouts Coastal Fever beweisen nämlich mit absolut unwiderstehlicher Vehemenz, dass Post Punk noch lange nicht tot ist. Irgendwie verhedderte sich die Szene zuletzt zunehmend in unwichtigen Details, wurde lärmiger und näherte sich so für den äußeren Betrachter wieder dem barbarischen Sound an, den sie eigentlich hinter sich lassen wollte. Mit Rolling Blackouts Coastal Fever tritt jetzt eine junge australische Band auf den Plan, die nicht nur Television und Joy Division gehört hat, sondern sich offensichtlich auch mit auf den ersten Blick nicht unbedingt verwandten Strömungen wie College Rock und Jangle Pop auseinandergesetzt hat.

Das Musikvideo zu An Air Conditioned Man auf Youtube:

Das geht gut ins Ohr und dank der gnadenlos durchgeschrammelten Akustikgitarre auch direkt in die Beine. Natürlich wird das atemberaubende Tempo nicht über das ganze Album aufrechterhalten, durchaus aber die lyrische Griffigkeit und die unverwechselbar umeinander gewundenen Leadgitarren. Auch wenn die Songs nicht gleich auf eingängie Refrains abzielen, bleiben die entscheidenden Phrasen spätestens nach dem dritten Durchlauf felsenfest im Ohr hängen. So beweisen Rolling Blackouts Coastal Fever eindrucksvoll, dass richtig guter Indie Rock ursprünglich mal keine dreckig aufgeraute Popmusik war, sondern eine unendlich verfeinerte Variante von Punk. So schaffen es die Australier, ein nicht unbedeutendes Genre neu zu erfinden und ganz nebenbei erstaunlichen Tiefgang mit unmittelbarem Hörvergnügen unter einen Hut zu bringen. Aufgrund der enormen atmosphärischen Dichte erscheint die Platte wie eine kleine Welt für sich und bewirbt sich damit für die Position als Debüt, wenn nicht sogar Album des Jahres.


Das ganze Album auf Spotify:


Ähnliche Alben:

Destroyer: Ken (2018)
The War on Drugs: A Deeper Understanding (2017)
Courtney Barnett & Kurt Vile: Lotta Sea Lice (2017)

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Destroyer – Ken: Erinnerungen an eine melancholische Jugend in den frühen 80ern

Als Mitglied der legendären The New Pornographers und spätestens mit dem letzten Solo-Album „Poison Season“ hat Destroyer schon längst den Durchbruch geschaft. Auf „Ken“ erfindet er sich mal wieder neu, diesmal als großer Melancholiker mit nostalgischen Gefühlen für die frühen 80s, irgendwo zwischen New Wave, Jangle Pop und College Rock.

Destroyer - Ken

20.10.2017 – Merge Records

Nachdem er auf dem überragenden Vorgängeralbum erfolgreich introvertiertes Storytelling mit Stadionrock à la Springsteen versöhnt hatte, musste Destroyer für seine mittlerweile elfte Platte erst mal eine geeignete Herausforderung finden. In seiner großzügigen Freizeit seit dem Ausstieg bei The New Pornographers hat er dann erst mal tief in sich hineingehört und dabei nicht nur die Musik seiner Jugend in den frühen 80ern wiederentdeckt, sondern auch eine bislang in diesem Ausmaß unbekannte Melancholie.

Wie auf vielen Platten in diesem Jahr feiert der Chorus als vorherrschender Effekt auch hier weiter sein Comeback. Allerdings nicht in der analogen Version der 70er mit seinem charakteristischen Schlingern, sondern in der kühlen Verzerrung der 80er. Das hat immer etwas leicht dystopisches, so als hätten die Saiten verlernt, mit der restlichen Welt in Harmonie zu schwingen. Dazu kommen viele programmierte Synthies und unbarmherzig alternierende Paare von Moll-Akkorden, die weitere dunkle Türen der Assoziation aufstoßen, vornehmlich in Richtung New Wave. Das wäre schwer zu ertragen, wenn Destroyer nicht hier und da mit einer genialen Wendung die erleichternde Kurve in versöhnlichere Gefilde bekommen würde.

Misanthropen, die zu diesem Album in die Wolken schauen werden, haben auch zu den folgenden Alben nachdenklich ihren Earl Grey getrunken:
Courtney Barnett & Kurt Vile – Lotta Sea Lice: Musikgewordenes Slackertum
Michael Nau – Some Twist: Ein Waldschrat entdeckt den Soul
H. Hawkline – I Romanticize: So geht Indie Rock 2017

Hoops – Routines (2017)

Mit einem cleveren Debüt auf dem Qualitätslabel Fat Possum schaffen Hoops den Sprung aus dem verschlafenen Indiana in die große, weite Musikwelt. Ihr verträumter Indie-Pop ist zwar keine bahnbrechende Neuerfindung, aber durchaus ein Beitrag zur Vielfalt eines beliebten Genres.

Hoops

VÖ: 5.5.2017 auf Fat Possum
Klingt fast ein bisschen wie: Tops, Tennis, The db’s
Passt gut zu: Autoradio, Mittagshitze, Coladose

Wer sein erstes Album Routines nennt, beweist schon mal eine Menge Humor. Und tatsächlich hat diese Musik etwas im positiven Sinne routiniertes, nämlich gut abgehangenes. Die Jungs aus einer Kleinstadt aus Indiana wissen genau, was sie wollen, und zwar gut ausgeschlafenen Dream-Pop ohne unnötige psychedelische Umwege. Akribisch haben sie an eingängigen, aber keineswegs formelhaften Songs gearbeitet, die durch den exzessiven Einsatz von Filtern, Hall und Bandsättigung aus ihrer eigentlich sehr poppigen Grundstimmung herausproduziert wurden. Die Gitarrenarbeit ist abwechslungsreich, stellenweise fast beängstigend clever und verführt die ganze Band zu einem mühelosen, aber unwiderstehlichen Groove. So etwas kann auf Dauer auch einseitig und verstockt werden, aber überraschende Tempowechsel, absichtlich verpasste Einsätze und haarsträubende Fade-Outs lockern die Sache immer wieder auf. Das Ergebnis klingt wie eine gefundene Kassette aus einem Amischlitten der 80er, auf dem die genialen Demos einer sagenhaften College-Band zusammengeschnitten wurden. Ein vielversprechendes Debüt, das einfach nur Spaß macht und so manchen Sommertag gelungen untermalen wird.

Squeeze – Argybargy (1980)

VÖ: Februar 1980
Namedropping: Television, The DB’s, The Kinks, The Shins
Passt gut zu: Dosenbier, Dielenboden und Donnerstagabend

Squeeze vereinigen auf ihrem dritten Album so viele Merkmale der 60er, 70er und 80er, dass sie fast wie eine der typisch unspezifischen Retrobands von heute klingen. Aber nur fast, denn einerseits gibt es hier eine einzigartige Dichte von großen Songs und andererseits atmet das Album von vorne bis hinten den Zeitgeist der postindustriellen Depression im Königreich. Mit Jools Holland (!) an den Keys erschaffen die Jungs scharf gezeichnete Charaktere und erzählen Geschichten, die scheinbar mühelos mit musikalischen Stilmitteln aus drei Jahrzehnten inszeniert werden. Eine der wenigen Platten, die man monatelang studieren oder auch einfach mal nebenher durchhören kann.