Wie ein Kurztrip ins Kalifornien der frühen Siebziger: Mapache setzen voll auf sanft rollende Gitarren, mehrstimmigen Gesang und stimmungsvolle Westküsten-Nostalgie.
Yep Roc Records / 29. November 2019
Ursprünglich veröffentlichten Clay Finch und Sam Blasucci ihr gemeinsames Debüt-Album schon 2017 beim Kleinstlabel Spiritual Pajamas, das von Santa Cruz aus in unregelmäßigen Abständen verschiedene stilistische Schwerpunkte der kalifornischen Undergroundszene beleuchtet. Nun sind die beiden bei Yep Roc Records angekommen, wo in deutlich höherer Frequenz und größerer thematischer Schärfe gearbeitet wird. Da lag es nahe, die vor zwei Jahren etwas untergegangene Platte noch mal neu herauszubringen. Zumal sich die nostalgische Annäherung an den klassischen Westküstensound in der Zwischenzeit weit über die kalifornischen Landesgrenzen hinaus als Trend etablieren konnte.
Schon der Opener Mountain Song offenbart, dass die Besonderheiten von Mapache im fast telepathischen Zusammenspiel der beiden Skaterfreunde liegen. Es klingt, als würde jemand mit vier Händen auf einer Gitarre mit 12 Saiten spielen und dabei zweistimmig singen, ein mal mit einer jugendlich-androgynen Altstimme und gleichzeitig mit einer tieferen und gut abgehangenen Männerstimme. Ausgehend von dieser Basis deklinieren Mapache jeden Typus von Song durch, den man sich im Autoradio eines rostigen Pick-Ups auf dem Highway 1 vorstellen kann: Die melancholische Countryrock-Ballade à la Neil Young, psychedelisch ausufernde Gitarren-Jams in Anlehnung an Grateful Dead, rasante Nummern im Neo-Bluegrass-Stil von Dillard & Clark und alles dazwischen. Ein unterhaltsames Album mit hohem Nostalgie-Faktor, das seine mangelnde inhaltliche Tiefe mit beeindruckender Spielfreude mehr als wett macht.
Im Schaukelstuhl auf einer Veranda in Brooklyn: Gabriel Birnbaum sucht und findet mitten im post-urbanen Wahnsinn ein hübsches Plätzchen für pastorale Folksongs aus dem Herzen des Großstadtlebens.
Arrowhawk Records / 22. November 2019
Das Leben als Musiker in New York ist in den letzten Jahren nicht einfacher geworden. Nebenjobs sind kaum verfügbar und schlecht bezahlt, die Mieten steigen unaufhörlich, die Einnahmen aus dem Verkauf von Tonträgern sind auf dem Tiefpunkt und immer mehr Acts konkurrieren um immer weniger wirklich lohnende Auftrittsmöglichkeiten. Kein Wunder, dass vielversprechende Projekte teilweise jahrelang auf Eis liegen, bevor sie sich endlich ihren Weg an die Oberfläche bahnt. So auch das erste Solo-Album von Gabriel Birnbaum, der sich als Saxofonist in verschiedenen Bands und als Frontmann von Wilder Maker bereits einen Namen gemacht hat. Nun liegt mit Not Alone endlich ein Debüt vor, das eine ganze Reihe von fantastischen Musikern in seinen Credits versammelt und bereits zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung eine wohlige Patina ausstrahlt.
Die lange Reifezeit ist in jedem Ton zu spüren, in jedem sanft verhallenden Akkord und zwischen den Fugen eines betont zurückgelehnten Zusammenspiels. Ein würdiges Bühnenbild für Songs, die nicht zuletzt durch ihre literarische Qualität überzeugen. Gabriel Birnbaum erzählt Geschichten aus dem letzten Rest des wahren Lebens, das sich hinter den Kulissen der Metropole abspielt, er verwandelt sie in poetische Momente der Selbsterkenntnis und lässt zwischen den Zeilen stets das Licht am Ende der Melancholie durchscheinen. Die musikalischen Inszenierungen dieser Geschichten platzen fast vor Spielfreude und berühren mächtige Traditionsfelder amerikanischer Musik wie Folk, Country und Soul mit allem gebotenen Respekt. Das Ergebnis ist eine vielschichtige und klangfarblich extrem stimmige Platte mit neun jahrelang ausgefeilten, aber mit entspannter Leichtigkeit nach Hause gebrachten Songperlen.
Ein längst überfälliges Debüt: Im biblischen Alter von 41 Jahren veröffentlicht Jeremy Ivey seine erste Platte und wirft damit vor allem die Frage auf, warum er uns seine Songs so lange vorenthalten musste.
Anti-Records / 13. September 2019
Ein Neuling im Musik-Business ist Jeremy Ivey keineswegs: Seine Ehefrau Margo Price ist eine der berühmtesten Countrysängerinnen überhaupt und als ihr Haus- und Hofgitarrist und gefragter Session-Musiker hat er sich fest in Nashville etabliert. In den vergangenen Jahren trat er der Karriere seiner Frau zuliebe etwas kürzer und kümmerte sich oft um die gemeinsamen Kinder. Nun nimmt sie sich eine Auszeit vom anstrengenden Showbiz und ermöglicht damit ihrem Mann, aus ihrem langen Schatten herauszutreten und zum ersten Mal an vorderster Front im Rampenlicht zu stehen.
Ganz unbeteiligt ist Margo Price am Erfolg seines Debüts jedoch nicht, denn als Produzentin hat sie im Studio nicht nur die musikalische Leitung übernommen, sondern auch einige herzerwärmende Backing Vocals eingesungen. Und dennoch sorgen das grandiose Songwriting und die feurige Performance von Jeremy Ivey für den größten Aha-Effekt dieser Platte. Atmosphärisch irgendwo zwischen dem Soundtrack zu einem melancholischen Spaghetti-Western und großformatigem Stadionrock à la Springsteen angesiedelt, zoomen Iveys Songs ganz nah ran an die Gesichter seiner mit wenigen Worten sehr facettenreich modellierten Protagonisten. Ein Album, dessen Material zweifelsfrei über viele Jahre hinweg immer weiter verfeinert wurde und nun zu dem Besten gehört, was das Genre in den letzten Jahren hervorgebracht hat.
Mit 50 Jahren gewinnt der Blick zurück an Klarheit. Das gilt im Leben ebenso wie in der Popmusik. Was bleibt übrig, wenn Hypes und Zeitgeist sich verabschiedet haben? In unserer Serie „Fünfziger“ geht es deshalb um Platten, die vor genau einem halben Jahrhundert ihren Fußbadruck in der Musikgeschichte hinterlassen haben. Heute: Gram Parsons und sein psychedelischer Kreuzzug nach Nashville.
Mit 50 Jahren gewinnt der Blick zurück an Klarheit. Das gilt im Leben ebenso wie in der Popmusik. Was bleibt übrig, wenn Hypes und Zeitgeist sich verabschiedet haben? In unserer Serie „Fünfziger“ geht es deshalb um Platten, die vor genau einem halben Jahrhundert ihren Fußbadruck in der Musikgeschichte hinterlassen haben. Heute: Gram Parsons und sein psychedelischer Kreuzzug nach Nashville.
Was tut man als millionenschwerer Erbe einer erzkonservativen Südstaaten-Familie im Jahr 1969, wenn man mit einer göttlichen Stimme gesegnet ist und das Leben als Sänger der Byrds langweilig wird? Na klar: Man versammelt die besten Musiker weit und breit und sucht völlig zugedröhnt nach der sagenumwobenen Kreuzung zwischen Country und Soul, um von dort aus mit brennenden amerikanischen Fahnen in den Sonnenuntergang zu reiten. Gram Parsons und seine Flying Burrito Brothers veröffentlichten am 6. Februar 1969 mit The Gilded Palace of Sin ein Album für die Ewigkeit, dass wie so viele legendäre Platten zum Zeitpunkt seines Erscheinens so gut wie unbeachtet blieb.
Gram Parsons ist eine der schillerndsten Figuren der amerikanischen Musikgeschichte, im deutschsprachigen Raum aber so gut wie unbekannt. In seiner Heimat ranken sich so viele halbwahre, frei erfundene und teilweise unfassbar absurde Geschichten um seine Person, dass eine historisch abgesicherte Einordnung seiner Biographie fast unmöglich erscheint. Folgt man der Mythologisierung bis zum bitteren Ende, so war er ein Mitglied der Manson Family, der Geliebte von Keith Richards und jemand, der seinen eigenen Leichnam von seinem Tourmanager aus den Händen der trauernden Familie entführen ließ, um unter den Joshua Trees in der gleichnamigen kalifornischen Wüste rituell verbrannt zu werden.
Verbürgt ist davon zumindest, dass sein Tourmanager Phil Kaufman dem Massenmörder Charles Manson bei einem gemeinsamen Knastaufenthalt Anfang der Sechziger eine Gitarre geschenkt hatte. Richtig ist auch, dass die Rolling Stones zumindest misstrauisch beäugten, was Keith mit diesem jungen Amerikaner im stillen Kämmerlein trieb. Vermutlich spritzten sich die beiden einfach ununterbrochen gegenseitig Heroin und schrieben massenhaft Songs, von denen außer Wild Horses leider keiner das vermeintliche Liebesnest der beiden Freunde verließ. Dass der zuerst von den Flying Burrito Brothers und später erst von den Rolling Stones veröffentlichte Klassiker ursprünglich aus Parsons Feder stammt, stritt er in seinem letzten Interview 1973 selbst ab, das Gerücht gibt es bis heute. Tatsache ist aber, dass die Freundschaft mit Parsons das Gitarrenspiel von Keith Richards entscheidend prägte und damit auch die Country-Elemente auf Sticky Fingers und anderen Alben um 1970 begründete. Ein Trend, der in der britischen Heimat der Stones unter anderem bei Elton John, Rod Stewart und dessen Band The Faces auf fruchtbaren Boden fiel.
Der halbwegs verifizierbare Hauptstrang der Lebensgeschichte von Gram Parsons bis zur Gründung der Flying Burrito Brothers geht in etwa so: Geboren am 5. November 1946 als Enkel eines Großgrundbesitzers in Florida, sah der neunjährige Gram Parsons einen Auftritt von Elvis Presley und entschied sich sofort für ein Leben als Musiker. Nach dem Selbstmord seines Vaters und dem alkoholbedingten Tod seiner Mutter wurde er für den Rest seines Lebens mit einem großzügige bemessenen Trust Fund ausgestattet, schrieb sich in Harvard für Theologie ein und gründete dort die International Submarine Band. Mit seinen Kommilitonen erreichte er lokal schnell eine große Popularität, schon bald wurde die Truppe als Geheimtipp gehandelt und siedelte nach nur einem halben Jahr nach New York City über, um sich ganz einer musikalischen Karriere zu widmen.
Noch bevor das heute legendäre Debüt-Album der International Submarine Band veröffentlicht wurde, wurde Gram Parsons aber von den Byrds abgeworben und verließ seine erste ernsthafte Band. Trotz seiner Unerfahrenheit überzeugte er die damals wohl erfolgreichste Gruppe des Landes von seiner Vision einer Synthese aus Country und Rock, die in Form des zunächst kommerziell gescheiterten aber heute anerkannten Konzeptalbums Sweetheart of the Rodeo verwirklicht wurde. Doch schon nach wenigen Monaten stieg er aus, angeblich weil er an einer Tour durch Südafrika aus Protest gegen die Apartheid nicht teilnehmen wollte.
Wie so oft gelang es dem charismatischen Sänger auch an diesem Punkt, die entscheidenden Persönlichkeiten für sich einzunehmen und für immer an sich zu binden. Denn zur Kernbesetzung seiner neuen Band Flying Burrito Brothers gehörte mit Chris Hillman auch ein Gründungsvater der Byrds und damit einer der am besten vernetzten Köpfe in den Bereichen Country, Bluegrass und Folk sowie dem Musikbusiness insgesamt.
Die Entstehung des eigentlichen Albums ist im Gegensatz zu seiner Vorgeschichte schnell beschrieben: Fünf der wahrscheinlich besten Musiker auf ihrem Gebiet gehen in Nashville für ein paar Wochen ins Studio und berauschen sich an allen möglichen Drogen, vor allem aber an ihrem elektrisierenden Zusammenspiel. Das Songmaterial ist fantastisch, einige der besten Kompositionen von Hillman und Parsons treffen auf geschmackvoll ausgesuchte zeitlose Klassiker und intelligente Picks aus der zweiten Reihe wie das ergreifende Dark End of the Street, ein vergessener Hit des Soulsängers James Carr.
Für ungeübte mitteleuropäische Ohren mag sich die Version der Flying Burrito Brothers mit dem typischen Pedal Steel nach purem Country anhören, bei genauerem Hinhören und vor allem im Vergleich zu zeitgenössischen Aufnahmen aus Nashville erschließt sich aber, dass die Grenzüberschreitung keineswegs nur in der Wahl des Songs liegt. Parsons ließ sich auch vom emotionalen Gesangsstil eines James Carr inspirieren und die Band wird mitgerissen von einem verschleppten Groove, den die Countrywelt so noch nie gesehen hat.
Thematisch entspricht Dark End of the Street dem Profil des Cheating Songs, einem Topos, der bis heute auf fast jeder Countryplatte zu finden ist. Tatsächlich liefern die Flying Burrito Brothers quasi einen Blueprint für die perfekte Zusammenstellung eines Albums aus den klassischen Song-Formaten: Do Right Woman ist eine der ergreifendsten Country-Balladen aller Zeiten, Hippie Boy erfindet die obligatorische Spoken-Word-Nummer als surrealistisches Mini-Hörspiel inlusive Gospelchor neu und der wilde Doppelschlag aus Hot Burrito No. 1 und 2 scheint die spätere Annäherung an die Wut des Punk vorwegzunehmen. Die Ausgewogenheit dieser Konstellation geht soweit, dass man aus heutiger Sicht fast schon von der Einführung des Konzeptalbums in die bis dato auf Singles fixierte Countrywelt sprechen kann. Parsons liebte die Traditionen, aber er hasste den politisch reaktionären und kommerziellen Aspekt Nashvilles und diese Platte wirkt wie ein Manifest für eine Neuerfindung des Country aus seiner eigenen Tradition und der Versöhnung mit dem Rest der (amerikanischen) Musikwelt.
So verschmelzen die Flying Burrito Brothers mithilfe eines geradezu rauschhaften Zusammenspiels vermeintlich unversöhnliche Stränge der amerikanischen Populärkultur zu einem kosmischen Schauspiel, das bis heute als Inspirationsquelle für unzählige Seelenverwandte von Parsons in einer der lebendigsten Musikszenen der Welt strahlt. Diese Musik brennt in jeder Sekunde lichterloh und das Feuerwerk an psychedelisch angehauchten Grenzüberschreitungen zwischen Country, Rock und Soul ist der plattengewordene Beweis, dass es irgendwo ganz tief unten in der amerikanischen Seele einen gemeinsamen Kern gibt. Dahinter verbirgt sich eine Hoffnung, die zu Lebzeiten Gram Parsons trotz Vietnam und dem Nachhall der Segregation in weiten Kreisen der Gesellschaft wesentlich selbstverständlicher war als heute. Deshalb hat The Gilded Palace of Sin in 50 Jahren nichts an Aktualität verloren und ist der perfekte Ausgangspunkt für jeden mitteleuropäischen Musikliebhaber, um die eigenen anti-amerikanischen Ressentiments abzustreifen und den gigantischen Kosmos der Countrymusik für sich zu entdecken.
Musikalische Landflucht: Auf seinem siebten Studioalbum als Phosphorescent genießt Matt Houck vor allem die neue Harmonie in seinem bisher so unsteten Leben.
Erschienen am 5. Oktober 2018 bei Dead Oceans
Text: Alexander Graf
Irgendwie ja beruhigend, dass sich auch Künstler mit den ganz banalen Fragen des Älterwerdens konfrontiert sehen. Phosphorescent-Mastermind Matthew Houck und seiner Frau und Keyboarderin Jo Schornikow ging es jedenfalls vor ein paar Jahren ähnlich wie den meisten hippen Großstadtpärchen mit Ende 30. Das Problem: Warum eigentlich noch in der überteuerten aber winzigen Kiezbutze in New York City residieren, wenn man seine Abende sowieso nur noch mit Windelwechseln oder Netflix verbringt? Die beiden packten also den Nachwuchs ein und ließen sich in Nashville, Tennessee, nieder. Ein Neuanfang im Heartland der amerikanischen Musik – für den Songwriter ein Umzug mit Symbolwert, zurück zu den Wurzeln seiner getriebenen Americana-Gospels und fragilen Country-Elegien. Dort verbrachte Houck dann die Zeit seit der Veröffentlichung seines gefeierten letzten Albums Muchacho (2013) damit, sich in aller Seelenruhe ein neues Studio in einem alten Lagerhaus aufzubauen und an der nächsten Platte zu arbeiten.
Videotipp: Live on KEXP
Der 40-jährige Zausel aus den Südstaaten hat also offenbar endlich sein Glück gefunden – und das hört man. Nach fast 20 Jahren im Kampf mit den eigenen Dämonen, geschwächt von exzessiven Touren, Trennungen, Krankheiten und Großstadtneurosen, klingt Matt Houck auf C’est la vie erstmals geläutert, gesund und zufrieden. Man gönnt es ihm von Herzen. Auch wenn diese neue innere Ruhe der Platte die von Phosphorescent gewohnten inhaltlichen Abgründe und Untiefen nimmt. Es ist in der Kunst nun mal wie im echten Leben: Die allzu schönen Geschichten langweilen meist recht schnell.
Klanglich bleibt das Ganze immerhin ebenso gewohnt eigensinnig und kunstvoll. Schließlich hat es kaum ein anderes musikalisches Projekt in den vergangenen Jahren so geschickt verstanden, gängige Country-Klischees zu brechen. Wer also auf seufzende Pedal-Steel-Gitarren, hymnische Chorgesänge und nasale Gitarrensoli steht, aber auf den üblichen Kitsch gerne verzichten kann, der ist bei Phosphorescent nach wie vor an der richtigen Adresse. Dennoch: Nach C‘est la vie verdient sich Matt Houck vor allem eine Auszeichnung für sein Lebenswerk – Einsteiger greifen besser zu Muchacho oder dem Vorgänger Here’s to Taking it Easy.
Ziemlich genau 15 Jahre nach seinem Solodebüt hat Joe Firstman mit Cordovas endlich die Band, von der er immer geträumt hatte. Das erste Album von Cordovas ist ein wilder Ausritt im staubigen Niemandsland zwischen The Band, The Grateful Dead und den Eagles.
Erschienen am 10. August 2018 auf ATO
Bei den Kritikern ist das lang erwartete Debüt von Joe Firstmans neuer Band Cordovas eher durchgefallen. Meistens wurde naserümpfend angemahnt, dass hier wie in einer Stilübung an der Kunsthochschule die ikonischen Leistungen der Vergangenheit zwar handwerklich ansprechend nachgeahmt, aber keine eigenen kreativen Errungenschaften auf den Weg gebracht werden. Das ist natürlich ein berechtigter Kritikpunkt, aber dem Publikum ist das herzlich egal. Und so können Cordovas seit Monaten von einer mittelgroßen Stadt in den USA in die nächste ziehen und täglich ein ausverkauftes Haus voller frenetischer Fans abfrühstücken.
Ein Vorgeschmack zur Single „This Town’s A Drag“ auf Youtube:
Für viele ist das harsche Urteil der Kritiker vielleicht auch eher so etwas wie eine Auszeichnung. Frei nach dem Motto: Diese elitären Typen finden eine Band scheiße, die wie die Dead klingen? Gekauft! Ähnlichkeiten zu aktuellen Trends in der politischen Meinungsbildung sind rein zufällig und sicher nicht beabsichtigt. Zumindest nicht von Cordovas, die ihr ganzes Herzblut in gute Songs und eine umwerfende Performance gesteckt haben. Große Teile des Albums wurden live aufgenommen und man kann die besondere Energie dieser Momente förmlich hören. Das ist kein innovativer Quantensprung, der dem übersättigten Kritiker eine perfekte Vorlage für eine steile These gibt. Joe Firstman und seine Kumpels machen einfach die Musik, für die sie brennen. Und das ist auch gut so.
Sergio Trevino und seine Band Buxton haben seit 2009 alle drei Jahre ein solides Album abgeliefert. Stay out late ist da keine Ausnahme und schreibt den Weg von alternativem Country hin zu kunstvollem Post Rock überzeugend fort.
Erschienen am 19. Oktober 2018 bei New West Records
Als vor drei Jahren das vierte Studio-Album namens Half A Native erschien, war die Verwunderung groß. Vom texanischen Twang und dem klaren Bekenntnis zur Country-Schublade war nichts mehr übrig, Buxton klang wie jede andere sehr gute Band in der großen Komfortzone zwischen Indie Folk und Soft Rock. Für die fünfte Platte haben sich Sergio Trevino und seine Freunde ein paar Wochen in LA bei Thom Monaham eingenistet, dem Produzenten von Vetiver und Devendra Banhart. Wer Wettereinflüsse bei Musik wahrnehmen kann, wird die kalifornische Sonne hier sicherlich nicht überhören.
Das Musikvideo zur Single „Jan“ auf Youtube:
Abgesehen von der eher konventionellen Vorab-Single „Jan“ rückt die Platte den etwas unentschlossenen Vorgänger dann endlich ins rechte Licht. Anscheinend haben Buxton so etwas wie ein Übergangsalbum gebraucht, um sich selbst und ihre Fans auf einen neuen musikalischen Horizont vorzubereiten. Mit erstaunlich knackigen Synthies und bewusst undurchsichtigen Songstrukturen macht man ungefähr da weiter, wo zum Beispiel Talk Talk am Ende der 80er aufgehört haben. Die Extrameile lohnt sich aber durchaus auch beim Zuhören: Die Platte fließt wunderbar vor sich hin, hinterlässt auf Anhieb ein paar undefinierbare Ohrwurm-Fragmente und schreit förmlich nach dem nächsten Durchgang.
Sam Evian aus New York ist als Solokünstler 2016 mit seinem grandiosen Debüt „Premium“ in Erscheinung getreten. Das zweite Album ist noch entspannter, noch ideenreicher und noch besser geworden.
Sam Owens ist nicht nur ein gefragter Sänger, Gitarrist, Produzent und Songwriter, sondern auch der Boyfriend von Model und Sängerin Hannah Cohen. Vor zwei Jahren ist er endlich auf die glorreiche Idee gekommen, all diese Funktionen als Sam Evian miteinander zu vereinen. Und da er in New York sehr gut vernetzt ist, hat er auf Anhieb ein zuverlässiges Label und kongeniale Mitmusiker gefunden, die bereits der ebenfalls empfehlenswerten Band Here We Go Magic angehören. Kein Wunder, denn seine Songs sind auf Anhieb mitreißend und eine dankbare Gelegenheit, dezent im Hintergrund mitzuschwimmen. Songorientierten Teamplayern macht so etwas einfach am meisten Spaß und das hört man auch.
Das Musikvideo zu You, Forever auf Youtube:
Das Album ist beim ersten, unaufmerksamen Hören insgesamt eher unspektakulär und eignet sich deshalb außerordentlich gut als Hintergrundmusik beim Autofahren, im Zug oder bei der Arbeit. Wer gut aufpasst, wird aber im Minutentakt mit liebevollen Details belohnt. Hier ein leise abgemixtes und verwaschen im Hallraum verschwindendes Saxofon-Solo, dort ebenso unaufdringliche und außergewöhnliche Gesangsharmonien von Hannah Cohen, vor allem aber alle paar Sekunden ein unglaublich geschmackvolles Gitarrenschmankerl von Sam Evian höchstpersönlich. Alles in allem ist You, Forever deshalb ein fantastisches Album, das trotz der weichgezeichneten Produktion jedes mal an Schärfe gewinnt und auch noch in ein paar Jahren den perfekten Soundtrack für einen lauen Sommerabend liefern wird.
VÖ: 10.3.2017 auf ATO Klingt fast ein bisschen wie: Bob Dylan, Lila Downs, George Harrison (haha) Passt gut zu: Feierabend, Sonnenbrille, Flaschenbier
Hinter dem leider etwas debilen Namen Hooray for the Riff Raff verbirgt sich die feste Band der Songschreiberin, Sängerin und Frontfrau Alynda Segarra, die ihrer Heimatstadt New York in diesem Konzeptalbum ein weiteres musikalisches Denkmal setzt. The Navigator ist eine Art Walking Tour durch verschiedene Stadtteile und soziale Biotope der Stadt, deren Bewohner und Geschichten sich sehr farbig in stilistischen Entscheidungen niederschlagen. Arbeiterschicksale erklingen in Form von bodenständigem Country Rock, das High Life Manhattans in nervösem 80er Post-Rock und idyllischer Folk entführt uns in grüne Vororte. Das ganze läuft in Form einer fiktiven Autobiographie einer Migrantin aus Puerto Rico ab, so dass auch immer wieder lateinamerikanische Rhythmen und Klangwelten angesteuert werden, teilweise sogar mit Texten in spanischer Sprache.
Das könnte alles furchtbar prätentiös wirken, aber Alynda Segarras hat viele dieser Milieus und ihre musikalischen Vorlieben von innen erlebt und vermeidet mit viel Gefühl den Verdacht der kulturellen Vereinnahmung. Vor allem sind ihre Songs aber einfach wahnsinnig gut geschrieben und die Band flaniert so natürlich und unbeschwert durch das Repertoire der Straßen New Yorks, dass Fans der Stadt, von Konzeptalben, Latin Rock und von musikalischer Handwerkskunst gleichermaßen glücklich werden. Und wer diese vier Leidenschaften sein eigen nennt, findet hier sogar eine potentielle neue Lieblingsplatte.
VÖ: 7.10.2016 auf Merge Klingt fast ein bisschen wie: Tom Petty, Ryan Adams, Wilco Passt gut zu: Grauen Tagen, Guten Büchern, Heißem Tee
M.C. Taylor teilte jahrelang das Schicksal von vielen talentierten Musikern und rieb sich zwischen regulärer Arbeit und seinen künstlerischen Ambitionen auf. Vor ein paar Jahren schmiss er schweren Herzens seinen Job, um sich voll auf die Musik zu konzentrieren. Eine Entscheidung, die er inzwischen bereut, denn wirklich viel hat es seiner Karriere bislang nicht gebracht.Auf Heart like a Levee greift er seine Malaise inhaltlich auf und erweitert seine Palette zwischen Folk, Country und Americana um einen ganz eigenen Sound, den man vielleicht als Desert Soul bezeichnen könnte. Herausgekommen ist ein unglaublich vielfältiges, aber geschmeidiges und vor allem herzerwärmendes Album, das zwar auf Anhieb auch nicht unbedingt einschlug wie eine Bombe. Aber immerhin hat er jetzt eine Platte in der Hand, die definitiv viel zu gut ist, um einfach in der Versenkung zu verschwinden. Falls es also weiterhin nicht klappt mit dem ganz großen Erfolg, braucht sich M.C. Taylor jedenfalls selbst keine Vorwürfe machen.