Anna Burch – If You’re Dreaming (2020)

Indie Rock / Indie Pop / Dream Pop

Seit Wochen hatte es ununterbrochen geregnet, ich saß jeden Tag viele Stunden an meinem Schreibtisch mit Blick hinunter ins Tal. Die Vorräte gingen langsam zur Neige, bald würde es wieder Zeit für den langen Fußmarsch ins Dorf werden. Die Wolkendecke war die meiste Zeit so dicht, dass Tage und Nächte sich nicht mehr abwechselten, sondern in einer sanften Wellenbewegung ineinander flossen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass es schon wieder viel länger hell war als noch vor dem Beginn des Regens. Als eines Abends plötzlich die Sonne herauskam und die ungewohnte Helligkeit mich blendete, schaute ich ungläubig hinaus in eine golden leuchtende Welt. Wie in Trance zog ich meine Jacke an und ging nach draußen, schnell durch einen Fichtenhain zu diesem Weg am Waldrand, auf dem ich um diese Uhrzeit noch etwas Sonnenlicht vermutete. Ich hatte mich etwas verschätzt, es fielen nur noch einzelne Strahlen zwischen Baumstämmen hindurch auf den knirschenden Weg. Als ich auf eine große Pfütze zuging, sah ich plötzlich eine riesige Kröte am Wegesrand. Ich setzte mich auf einen Baumstumpf gegenüber und wir betrachteten uns gegenseitig. Dann sagte ich in die Stille hinein: Grüß Gott! Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Die Kröte schaute mich weiter an, so als würde sie über eine passende Antwort nachdenken. Mehrere Minuten vergingen, ohne dass ein weiteres Wort gesprochen wurde. Dann hüpfte sie plötzlich davon, hinunter auf die klatschnasse Wiese.

Nebenan im Plattenregal:
Hand Habits – Placeholder (2019)
Bonny Doon – Long Wave (2018)
Stella Donnelly – Beware Of The Dogs (2019)

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Bonny Doon – Long Wave

Bonny Doon haben es nicht eilig: Die wundervoll vor sich hin schlurfenden Songs auf ihrem zweiten Album entstanden bereits vor zwei Jahren. Jetzt kommt das Material endlich heraus und beweist, dass die Jungs aus Michigan ein Händchen für großartige Roadtrip-Musik haben.

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Erschienen am 23. März 2018 bei Woodsist

Wenn es um Musik in Michigan geht, denken viele erst mal an die Rapszene von Detroit. Dabei gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Bands, die ausgehend von kleineren Städten wie Benton Harbor zumindest im Rest der USA für Aufmerksamkeit sorgen. Eine davon ist Bonny Doon, die vor gerade ein mal einem Jahr mit einem nicht uninteressanten, aber etwas unfertigen Debüt-Album um die Ecke kam. Das Label Woodsist hat das außergewöhnliche Talent der Jungs anscheinend sofort erkannt und gehörig auf die Tube gedrückt, um die zweite Platte möglichst schnell hinterher zu schieben.

Schon nach den ersten Takten von Long Wave ist aber klar, dass die Band es überhaupt nicht eilig hat, schon gar nicht musikalisch betrachtet. Kein Wunder, denn die Songs entstanden bei einem total entspannten Bandurlaub am wunderschönen Mystic Lake. Das war bereits 2016, seither lag das Material auf Eis und wartete geduldig auf seine Veröffentlichung. Schade eigentlich, denn seither mussten schon eine ganze Menge Roadtrips ohne die perfekte musikalische Untermalung überstanden werden. Denn was hier auf Albumlänge in aller Ruhe ausgefahren wird, eignet sich wie kaum etwas anderes für eine ausgiebige Runde Halbschlaf auf dem Beifahrersitz. Und diese Qualität ist kein Zufall: Die durchaus lebendige Konversation zwischen den Gitarren verläuft in raumgreifenden Wiederholungszaklen und wird fast überall durch eine subtile Orgel oder ein leise singendes Pedal Steel grundiert, womit das Geschehen wie durch einen Sepiafilter verschleiert wird. Ein extrem kohärentes und stimmungsvolles Album, das am Ende mit der fragmentarischen Schlussnummer Walkdown förmlich in seine Einzelteile zerfällt.

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