Mega Bog – Dolphine (2019)

Alles anders als alles andere: Mega Bog lassen sich von assoziativen Bewusstseinsströmen ganz weit weg von allen Erwartungen treiben und landen mit Dolphine sanft auf einer ziemlich einsamen Insel der musikalischen Kreativität.

Paradise of Bachelors / 28.6.2019

Ist das ein wohlklingendes Bandrauschen oder ein Arpeggio auf der Gitarre? Alles klar, da kommt auch schon der volle Akkord und nimmt uns wie ein Sportboot mit in die Siebziger, zu den Dreharbeiten eines sepiafarbenen Softpornos an der Copacabana. Doch Halt, am abendlichen Horizont zieht ein Gewitter auf und der Anker wird heruntergelassen in ein bizarres Korallenriff aus Melancholie.

So oder so ähnlich läuft der ganz normale Wahnsinn in einem Song von Mega Bog ab, jedenfalls in der langen Orientierungsphase vor dem großen Aha-Effekt. Andere Bands belassen es bei einem kurzen Intro, bevor sie zur Sache kommen. Die Truppe um Songwriterin Erin Elizabeth Birgy hat da ganz andere Prioritäten: Hier ist das Vorspiel die Hauptsache. Kaum hat der Song eine vermeintlich greifbare Form angenommen, zerfließt der Refrain schon wieder in seine Einzelteile und versickert in einem langgezogenen Outro.

Musik wie diese entzieht sich nicht nur dem linearen Zuhören, sondern auch der industriellen Verwertungslogik des Marktes. Doch im Umkehrschluss bedeutet das auch, das solche Platten selbst nach Monaten der Heavy Rotation keinen Millimeter von ihrem Reiz einbüßen. Mega Bog ist der delikate Gegenentwurf zum überdreht grellen Post-Pop im Zeitalter des Loudness Wars und damit die quintessentielle Band für Prêt à écouter. Aufmerksames Zuhören ist unbedingt notwendig, wird aber auch mit einem fürstlichen Hörvergnügen belohnt.

Konzert-Tipp: Sa 23.11.19 / Karlstorbahnhof Heidelberg

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OCS – Memory of a cut off head: Verspultes Folk-Vergnügen

John Dwyer ist offensichtlich nicht ausgelastet mit seinen Projekten The Oh Sees, Damaged Bug und dem Label Caste Face. Mit OCS kehrt er überzeugend zu seinen Wurzeln zurück, die bis tief in den psychedelischen Folk der frühen Siebziger reichen.

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17.11.2017 / Castle Face

OCS war ein mal der Ausgangspunkt für die erfolgreichen The Oh Sees, mit denen John Dwyer den Garage Punk als popkompatibles Erfolgsmodell neu erfand. Auf Memory of a cut off head kehrt er aber nicht zurück zu den Lo-Fi-Experimenten der frühen Tage. Vielmehr handelt es sich um einen Neuanfang mit psychedelischem Folk, wie er ab Ende der 60er Jahre in England entstand. Dieser irgendwann ausgetrocknete Seitenarm unterscheidet sich vom Freak Folk der 00er Jahre vor allem durch eine größere Ernsthaftigkeit, handwerkliche Präzision und kompositorische Komplexität.

Eine ganze Reihe von Songs knüpft nahtlos an Qualitäten an, die immer zu erkennen sind, wenn Dwyer im Spiel ist. Da wäre vor allem eine außerordentliche musikalische Dynamik zu nennen, aber auch intensive poetische Bilder und großartige Melodiebögen, die immer über der jeweiligen stilistischen Spielart zu schweben scheinen. Dazugekommen ist ein herausragendes Gespür für Arrangements, vor allem die kammermusikalischen Extras über der geschmackvoll zurückhaltenden Band-Grundlage sind bestechend. Unterm Strich gelingt ihm damit ein Album, das erfolgstechnisch vielleicht nicht unbedingt an seine anderen Projekte heranreicht, aber aufgrund von verdientermaßen euphorischen Rezensionen hoffentlich eine Fortsetzung findet.

Drugdealer – The End of Comedy (2016)

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VÖ: 9.9.2016 auf Weird World
Klingt fast ein bisschen wie: Harry Nilsson, Todd Rundgren, Adam Green
Passt gut zu: Kaffeepause, Cookies, Hängematte

Glücklicherweise gab es in den letzten Jahren immer mehr Bands und Solokünstler, die einfach da weiter gemacht hat, wo man Ende der Siebzigerjahre im Technologierausch leider aufgehört hatte: Die Rede ist von klanglich traditionsbewusster Musik mit Innovationen im inhaltlichen und kompositorischen Bereich. Leider findet man in diesem Bereich inzwischen immer mehr Platten, die aufgrund von unglaublicher handwerklicher Perfektion und akribischer Stilkenntnis nicht mehr wie lebendiger Pop wirken, sondern wie Ergebnisse der experimenteller Archäologie, also unter historischen Bedingungen erzeugte Nachbildungen von Artefakten aus längst vergangenen Zeiten.

Michael Collins war bislang ironischerweise als experimenteller Beatbastler mit dem Namen Run DMT bekannt und haucht der Retromanie nun mit seinem ersten Album als Drugdealer einen gewissen DIY-Charme ein. Konsequent, denn schließlich gab es früher ja nicht nur perfekt gestylten Soft Rock, sondern auch jede Menge Weirdos, die mit ihren ungeformten Stimmen, schlecht gestimmten Instrumenten, viel Gras und noch mehr Kreativität über das Wunderland der plötzlich auch für Amateure bezahlbaren Mehrspurtechnik herfielen. Um nicht zu vereinsamen, hat Michael prominente Freunde wie Ariel Pink und Weyes Blood eingeladen, die man sich natürlich bestens in dieser Szenerie vorstellen kann. Dabei ist ein Album entstanden, dass die drei Pole künstlerischer Anspruch, historische Annäherung und Spaß auf dem kürzesten Weg verbindet. Da der Spaß nicht nur in der Musik, sondern auch im Rest der Welt 2016 ein bisschen zu kurz kam, ist The End of Comedy nicht nur eines der heimlichen Alben des Jahres geworden sondern darf auch 2017 noch entdeckt werden.