Erschienen am 29. März 2019 bei Captured Tracks
Chris Cohen schreibt Songs, die klingen, als dürfte man noch einmal durchs warme Fruchtwasser im Mutterleib gleiten. Als wäre alles da draußen bloß eine vage Ahnung, man selbst aber gleichzeitig vollkommen sicher und geborgen. Dann flimmern Szenen aus dem Familienurlaub in den frühen Neunzigern auf, der kindliche Blick aus dem Autofenster, wenn die unbekannte Landschaft verheißungsvoll vorbeizog, Gerüche von Thermoskannenkaffee, Entdeckerstimmung. Es ist eine merkwürdige Mischung aus wohliger Nostalgie und kribbeliger Unruhe, die einen erfasst, wenn man das dritte Soloalbum des kalifornischen Kritikerlieblings durch die Kopfhörer fließen lässt.
Das liegt natürlich an der gekonnten Reminiszenz an den samtig-schillernden Soft Rock der 70er Jahre und den exzentrischen Art Pop eines Lou Reed oder Brian Eno. Cohen spielt gekonnt mit Weichzeichnern, lässt das Saxophon erdfarbene Klangfahnen aufziehen und die Latino-Percussion in der tiefsten Ecke des Hallraums munter klackern. Cohens nasal hypnotisierende Stimme scheint dabei im Mix umherzuschlurfen, während Gitarre, Tasten und Schlagzeug jedem Tontechniker als Musterbeispiel für die Ewigkeiten dienen dürften. Und doch könnte diese Platte auf der gesamten Albumlänge von Beliebigkeit oder Manierismus nicht weiter entfernt sein. Alles hat hier seinen Sinn, hinter jeder vermeintlichen Harmlosigkeit steckt eine bewusste Entscheidung.
Ein kleiner Vorgeschmack auf YouTube:
Vielleicht hilft eine kleine Geschichte, um diese Besonderheit von Cohens Musik wirklich zu verstehen. Robin Pecknold von den Fleet Foxes hat sie erzählt. Darin beschreibt er, wie er einmal als Zuschauer verwundert beobachtete, dass Cohen vor einem Auftritt die großen Subwoofer der Beschallungsanlage entfernen ließ. „Warum hätte er das tun sollen? Wollte er etwa, dass seine Musik klein klang?“. Doch als Cohen beginnt, wird Pecknold geradezu von einem Erweckungserlebnis überwältigt: „Die Musik floß plötzlich wie ein Strom kalten Wassers. Was ich zuvor noch missverstanden hatte, entpuppte sich jetzt als eine notwendige, selbstbewusste und zutiefst informierte Entscheidung zugunsten klanglicher Klarheit und der Verbindung zu den Zuhörern.“
Wer Cohens musikalische Entwicklung kennt, weiß natürlich, dass der 43-Jährige alles andere als ein zarter Kuschelbarde ist. Mit den Avantgardisten von Deerhof hat er vor ein paar Jahren schon mal ein paar komplett genialisch-verschrobene Scheiben vorgelegt, die sich jeder Kategorisierung entzogen. Kollegen wie Ariel Pink, Weyes Blood oder Cass McCombs hat er zudem beim Songwritingprozess unterstützt. Soll heißen: Cohen ist keiner für den gemeinsamen Kuschelabend, da mag die Musik auf seiner aktuellen Soloplatte beim ersten Eindruck noch so sanft daherkommen. Diese Scheibe will nur dich allein – und all die merkwürdigen Gefühle, die dir beim Hören durch den Kopf ziehen wie die Bilder damals auf dem Diaprojektor deines Onkels.
Das ganze Album bei Bandcamp: