Hand Habits – Fun House (2021)

Schon von weitem siehst du die Vögel. Ein Schwarm wie ein Schleier über der Landschaft, seidig und fließend, schwarz und silber. Ja ok, jetzt ist es halt Herbst. Noch ein paar Sekunden, dann verschwindet die Sonne endgültig hinter den Bäumen. Du siehst noch das Licht auf den Hügeln da hinten, aber hier auf dem Feld ist es schon schattig, dunkel, kalt. Deine Jeansjacke hast du heute Nachmittag aus dem Schrank geholt, als es noch sonnig und warm war. Du gehst etwas schneller, nach Hause ist es eine knappe Stunde.

In der Küche stellst du erst mal Wasser auf, dann ziehst du deinen wärmsten Pulli an und setzt dich in den Sessel. Draußen fallen schon die ersten Tropfen, als du die grünen Blätter bei ihrem Tanz in der Kanne verfolgst. Langsam beginnt der Tee messingfarben zu leuchten. Du schenkst dir eine Tasse ein und beobachtest den Regen, der sich an der Fensterscheibe seinen Weg nach unten sucht. Gut, dass es ein neues Album von Hand Habits gibt.

Nebenan im Plattenregal:
Hand Habits – Placeholder (2019)
Anna Burch – If You’re Dreaming (2020)
Outer Spaces – Gazing Globe (2019)

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Mapache – From Liberty Street (2020)

Indie Folk / Folk Rock / Cosmic American Music

Wir sind wie die Higuerilla, diese wilde Pflanze, die an den magersten und schroffsten Orten wurzelt und sich vermehrt. Schau mal, wie sie im Sand wächst, im ausgetrockneten Abwasserkanal, in der gerodeten Fläche neben der Müllkippe. Sie bittet um nichts von niemandem, alles was sie zum Überleben braucht, ist ein Stück Boden. Weder die Sonne im Himmel noch das Salz in der Erde, nicht mal der Sturm über dem Meer kann ihr was anhaben, geduldig lässt sie sich von den Menschen treten und von den Traktoren überrollen. Doch die Higuerilla wächst weiter, verbreitet sich, ernährt sich von Stein und Abfall. Dort, wo wir an der Küste diese Pflanze finden, dort lassen wir uns nieder und bauen unsere Hütte. Denn hier werden auch wir leben können.

Nebenan im Plattenregal:
Mapache – Mapache (2019)
Cordovas – That Santa Fe Channel (2018)
Marla & David Celia – Daydreamers (2018)

Mapache – Mapache (2019)

Wie ein Kurztrip ins Kalifornien der frühen Siebziger: Mapache setzen voll auf sanft rollende Gitarren, mehrstimmigen Gesang und stimmungsvolle Westküsten-Nostalgie.

Yep Roc Records / 29. November 2019

Ursprünglich veröffentlichten Clay Finch und Sam Blasucci ihr gemeinsames Debüt-Album schon 2017 beim Kleinstlabel Spiritual Pajamas, das von Santa Cruz aus in unregelmäßigen Abständen verschiedene stilistische Schwerpunkte der kalifornischen Undergroundszene beleuchtet. Nun sind die beiden bei Yep Roc Records angekommen, wo in deutlich höherer Frequenz und größerer thematischer Schärfe gearbeitet wird. Da lag es nahe, die vor zwei Jahren etwas untergegangene Platte noch mal neu herauszubringen. Zumal sich die nostalgische Annäherung an den klassischen Westküstensound in der Zwischenzeit weit über die kalifornischen Landesgrenzen hinaus als Trend etablieren konnte.

Schon der Opener Mountain Song offenbart, dass die Besonderheiten von Mapache im fast telepathischen Zusammenspiel der beiden Skaterfreunde liegen. Es klingt, als würde jemand mit vier Händen auf einer Gitarre mit 12 Saiten spielen und dabei zweistimmig singen, ein mal mit einer jugendlich-androgynen Altstimme und gleichzeitig mit einer tieferen und gut abgehangenen Männerstimme. Ausgehend von dieser Basis deklinieren Mapache jeden Typus von Song durch, den man sich im Autoradio eines rostigen Pick-Ups auf dem Highway 1 vorstellen kann: Die melancholische Countryrock-Ballade à la Neil Young, psychedelisch ausufernde Gitarren-Jams in Anlehnung an Grateful Dead, rasante Nummern im Neo-Bluegrass-Stil von Dillard & Clark und alles dazwischen. Ein unterhaltsames Album mit hohem Nostalgie-Faktor, das seine mangelnde inhaltliche Tiefe mit beeindruckender Spielfreude mehr als wett macht.

Nebenan im Plattenregal:
Cordovas – That Santa Fe Channel (2018)
Jeremy Ivey – The Dream and the Dreamer (2019)
Marla & David Celia – Daydreamers (2018)

Itasca – Spring (2019)

Zuhause im Niemandsland: Kayla Cohen hat sich für ihr zweites Album als Itasca in einem abgelegenen Gebiet nahe der mexikanischen Grenze zurückgezogen und die dort erlebte Zeitvergessenheit in zehn minimalistische Songs gepackt.

Paradise of Bachelors / 1. November 2019 / Text: Tobias Breier

Manchmal ist einfach ein Tapetenwechsel nötig, um neue Inspiration zu finden. Ein Aufenthalt auf dem Land ist spätestens seit Exile On Main Street ein beliebtes Mittel, um sich ganz auf ein neues Album zu konzentrieren. Kayla Cohen hat ihren Wohnort Los Angeles für ein paar Monate verlassen und hat sich in einer gottverlassenen Gegend nahe der mexikanischen Grenze vor den Versuchungen des Großstadtlebens versteckt.

Die Abgeschiedenheit des Entstehungsortes ist in jedem Song deutlich hörbar und dürfte sogar diejenigen Hörer erfassen, die sich das Album in einer vollgestopften U-Bahn mit Kopfhörern reinziehen. Die große Gefahr bei derartigen Platten ist, dass sich die atmosphärische Dichte auf die Dauer abnutzt und spätestens ab der zweiten Seite in Geplätscher zerfließt. Doch vor allem dank der außerordentlichen kinetischen Energie der handgezupften Gitarre hält Itasca bis zum Schluss die Spannung und spürt mit jedem Song neue klangliche Farbschattierungen auf, so wie stimmungsvolle Lichtverhältnisse in menschenleeren Tälern.

Nebenan im Plattenregal:
Chris Cohen – Chris Cohen (2019)
Molly Sarlé – Karaoke Angel (2019)
Tiny Ruins – Olympic Girls (2019)

Fünfziger: Crosby, Stills & Nash – Crosby, Stills & Nash (1969)

Viele Köche verderben den Brei und konkurrierende Künstler-Egos zerfleischen sich gegenseitig, bevor etwas Produktives entstehen kann: So die Theorie. Den praktischen Gegenbeweis zu diesen Binsenweisheiten legten Crosby, Stills und Nash am 29.5.1969 vor, nachdem jeder für sich jahrelang in erfolgreichen Bands tonangebend war. Musikalisch setzte das gemeinsame Debüt als Folk-Supergroup neue Maßstäbe in Sachen dreistimmigem Gesang, einfühlsamem Zusammenspiel und psychedelisch verschlungenem Songwriting. Vor allem aber begründet diese Platte die goldenen Jahren des amerikanischen Folk-Rocks und des Laurel Canyons vor den Toren von Los Angeles als musikalischen Hotspot der Westküste.

Mit 50 Jahren gewinnt der Blick zurück an Klarheit. Das gilt im Leben ebenso wie in der Popmusik. Was bleibt übrig, wenn Hypes und Zeitgeist sich verabschiedet haben? In unserer Serie „Fünfziger“ geht es deshalb um Platten, die vor genau einem halben Jahrhundert ihren Fußabdruck in der Musikgeschichte hinterlassen haben. Heute: Die ultimative Folk-Supergroup erfindet den Sound Kaliforniens neu.

Viele Köche verderben den Brei und konkurrierende Künstler-Egos zerfleischen sich gegenseitig, bevor etwas Produktives entstehen kann: So die Theorie. Den praktischen Gegenbeweis zu diesen Binsenweisheiten legten Crosby, Stills und Nash am 29.5.1969 vor, nachdem jeder für sich jahrelang in erfolgreichen Bands tonangebend war. Musikalisch setzte das gemeinsame Debüt als Folk-Supergroup neue Maßstäbe in Sachen dreistimmigem Gesang, einfühlsamem Zusammenspiel und psychedelisch verschlungenem Songwriting. Vor allem aber begründet diese Platte die goldenen Jahren des amerikanischen Folk-Rocks und des Laurel Canyons vor den Toren von Los Angeles als musikalischen Hotspot der Westküste.

Um es gleich vorwegzunehmen: Der gemeinsame Weg von David Crosby, Stephen Stills und Graham Nash (und zeitweise Neil Young) durch die wilden Siebziger war alles andere als ein Roadtrip voller Bromance und blindem Verständnis, wie es sich in die spektakulären Gesangsharmonien hineininterpretieren lässt. Die Bandgeschichte ist eine Achterbahnfahrt mit jeder Menge Eitelkeiten, Trennungen, Ignoranz und unterm Strich deutlich mehr Tiefen als Höhen. Die Rechtsstreitigkeiten über die Urheberschaft von bestimmten Parts halten teilweise bis heute an und zum fünfzigsten Jahrestag des ersten gemeinsamen Konzerts gaben alle drei feierlich bekannt, dass ein gemeinsamer Auftritt ausgeschlossen ist.

Auf der anderen Seite gibt es keine öffentlichen ausgetragenen Feindseligkeiten zwischen den drei Musikern und keiner wurde bislang müde zu betonen, wie magisch das Zusammenspiel in der Anfangszeit war. Sieht man von der legendären Aufnahmen mit Neil Young bei Woodstock und auf dem fast ebenbürtigen Album Deja Vu ab, wird diese Magie nirgends auch nur annähernd so deutlich wie auf dem selbstbetitelten Debüt. Nachdem alle drei aufgrund von nicht enden wollenden Auseinandersetzungen über ihre jeweiligen Bands verlassen hatten, wollten alle drei einfach nur Musik machen und endlich die von den ehemaligen Kollegen verschmähten neuen Songs spielen.

David Crosby war zuvor eine der treibenden Kräfte bei den Byrds, die am Ende der Sechziger Jahre zunehmend den Faden verloren. Zahlreiche Umbesetzungen und stilistische Richtungswechsel hatten die ohnehin fragile Allianz mit Gene Clark und Roger McGuinn in Schieflage gebracht, Drogenexzesse und vermasselte Tourneen kamen dazu. Es gibt zahlreiche Interviews von Crosby, in denen er die späten Byrds als katastrophale Liveband bezeichnet, zahlreiche Kritiker und Zeitzeugen teilen diese Sichtweise. Auch wenn die wenigen verfügbaren Live-Aufnahmen aus dieser Zeit von beachtlicher Qualität sind, konnte das zunehmend komplexe Material unter Tourbedingungen wohl nicht mehr zuverlässig auf die Bühne gebracht werden.

Ganz anders sah die Lage bei Stephen Stills und Buffalo Springfield aus, denn die Band ist bis heute für ihre elektrisierenden Auftritte bekannt. Ein wichtiger Grund für das leider relativ abrupte Ende der Truppe war aber mit Sicherheit, dass es nie wirklich gelang, diese herausragende Qualität in vollem Umfang auf einer Aufnahme abzubilden. Natürlich sind die ersten beiden Platten dennoch unumstrittene Klassiker, die Bandmitglieder berichteten aber nach der Trennung von einer großen internen Unzufriedenheit mit den Ergebnissen. Laut Stephen Stills hatte das Studioteam keine Ahnung, wie der von der Band gewünschte Sound hätte erreicht werden können. Auf der anderen Seite waren die Musiker zu unerfahren und zugedröhnt, um von der Plattenfirma einen Abbruch der Aufnahmen zu verlangen und mit anderem Personal noch mal von vorne anzufangen. Zum Zeitpunkt der Produktion des dritten Albums mit dem vielsagenden Titel „Last Time Around“ war hörbar die Luft raus.

Graham Nash schließlich dürfte der Neuanfang wohl am leichtesten gefallen sein. Nachdem er auf Tour die amerikanische Musikszene und ihre psychedelischen Freizeitbeschäftigungen kennengelernt hatte, war die Zeit mit den erfolgshungrigen Spaßbremsen von The Hollies endgültig abgelaufen. Ende der Siebziger gab er in einem Interview die Anekdote zum Besten, dass ihn seine Bandkollegen bis zum Ende bei jedem Joint ohne jede Ironie vor seinem vermeintlich unmittelbar bevorstehenden Drogentod warnten. Sein musikalisches Engagement bei diesem überaus erfolgreichen Pop-Projekt hatte zu jenem Zeitpunkt verständlicherweise schon lange einen rein pflichtmäßigen Charakter angenommen.

Eines Tages hatte Nash endgültig die Nase voll und nahm den nächsten Flieger Richtung LA, wo er sich zunächst vorrangig dem Besuch von Konzerten, Parties und Jam-Sessions widmete. Bei einer dieser spontanen musikalischen Zusammenkünfte traf er Anfang 1968 auf David Crosby und Stephen Stills, die sich zu diesem Zeitpunkt nach einigen gemeinsamen Auftritten von den Byrds und Buffalo Springfield schon flüchtig kannten. Alle drei hatten eine Menge großartiger Songs auf Lager, die bei ihren Bandprojekten nicht untergebracht werden konnten oder nach dem Ausstieg entstanden waren. Es war eine extrem günstige Konstellation für ein Debüt, denn einerseits überbrückte die Anfangseuphorie einen Großteil der möglichen Konfliktfelder und andererseits war genug vorbereitetes Material vorhanden, um auf der perfekten Welle erst mal eine Weile ohne größere Denkpausen zu reiten.

Angesichts des immensen individuellen Talents aller Beteiligten war unter diesen Voraussetzungen die Tür in die Champions League weit offen. Der Opener Suite: Judy Blue Eyes aus der Feder von Stephen Stills bewegt sich in Sachen kompositorischem Größenwahnsinn auf dem Level von Queens Bohemian Rhapsody. Graham Nashs Marrakesh Express bringt nicht nur seinen zu diesem Zeitpunkt immer noch deutlich hörbaren britischen Akzent und seinen großen Bewegungsdrang zur Geltung, sondern beschreibt die Flucht in den orientalischen Hippie-Sehnsuchtsort mit einem dezidiert westeuropäischen Hang zum Exotismus. Mit der dunkel fließenden Ballade Guinnevere komplettiert David Crosby an dritter Stelle das Triumvirat der Songwriter und setzt einen weiteren atmosphärischen Akzent.

Die meisten Platten werden nach drei Songs von diesem Kaliber mit zweitrangigem Material aufgefüllt, doch hier sind sie nur der Ausgangspunkt für eine wahre Salve von Klassikern des Genres Folk-Rock. Dieses Niveau mit Highlights wie Helplessly Hoping oder Wooden Ships noch ein mal zu übertreffen, demonstriert den Stellenwert dieser Platte als zeitlose Sternstunde und Triumph des uneigennützigen Zusammenspiels, das in dieser Hinsicht bis heute Vorbildcharakter hat und Generationen als Inspiration dient. Der durchschlagende Erfolg der Platte zum Zeitpunkt des Erscheinens ermöglichte allen drei Musikern spektakuläre Solokarrieren mit zahlreichen unsterblichen Platten, setzte den Laurel Canyon für ein paar Jahre als Hauptstadt auf die Landkarte der amerikanischen Musikszene und war so indirekt auch die Initialzündung für den Erfolg von Superstars wie Jackson Browne, Joni Mitchell oder später auch den Eagles.

Bisher erschienen in der Reihe Fünfziger:
Fünfziger: Bob Dylan – Nashville Skyline (1969)
Fünfziger: The Flying Burrito Brothers – The Gilded Palace of Sin (1969)

Big Search – Slow Fascination (2019)

Weil sich Aufregung eher selten lohnt: Big Search kurbelt den Liegestuhl ganz weit zurück und genießt eine Spritztour durch die Musikwelten der amerikanischen Westküste.

Erschienen am 12. April 2019 bei 30th Century Records
Text: Tobias Breier

Hinter Big Search steckt der umtriebige kalifornische Musiker Matt Popieluch, der an einem sehr abwechslungsreichen Werdegang als Musiker bastelt. Stationen als Frontmann der Rockband Foreign Born, Filmkomponist und als Session Man für Cass McCombs, Papercuts oder Fool’s Gold begleiten seine Solokarriere, die 2016 mit dem unbedingt hörenswerten vierten Album Life Dollars einen vorläufigen Höhepunkt fand. Auch wenn der ganz große Publikumserfolg bislang leider ausblieb, ist Big Search spätestens seit dieser Veröffentlichung eine feste Größe der Westküsten-Szene.

Ein kleiner Vorgeschmack auf Youtube:

Zur Schau gestellte musikalische Innovationen oder stilistische Statements hatte Popieluch derweil noch nie wirklich nötig und so ist es auch weder überraschend noch enttäuschend, dass er sich auch auf Slow Fascination an einem im positivsten Sinne des Wortes konventionellen Modell abarbeitet: Ein guter Song, ein klassisches Rock-Instrumentarium, und eine tiefenentspannte Performance im Studio. Das Ergebnis ist ein zeitloses Album, das einfach Spaß macht und die ein oder andere stilistische Spitzfindigkeit sowie so manchen etwas tiefgründigeren Exkurse perfekt in seine Alltagstauglichkeit integriert.

Das ganze Album bei Spotify:

Nebenan im Plattenregal:

Chris Cohen – Chris Cohen (2019)
Nicholas Krgovich – Ouch (2018)
Sam Evian – You, Forever (2018)

Kali Uchis – Isolation (2018)

Nach ihrer EP „Por Vida“ wurde Kali Uchis schon 2015 als neue Pop-Hoffnung gefeiert. Im April 2018 erschien das Debütalbum „Isolation“ der kolumbianischen US-Amerikanerin, das zwar Assoziationen zu modernem Neo-Soul zulässt, aber viel mehr ist als ein weiteres R&B-Album im 90er-Jahre Nostalgiegewand.

Erschienen am 13. April 2018 bei Virgin EMI

Text: Schira Kissin

„Isolation“ ist eine Auseinandersetzung Uchis mit der Einsamkeit, die sie als Teenager erfahren hat. Nach einem Streit mit den Eltern zieht die damals 17-jährige aus und schläft monatelang in ihrem Auto. In dieser Zeit entstehen Gedichte, die später zu Songtexten wie dem von „Loner“, erschienen auf der EP „Por Vida“, oder „Killer“, dem Schlusstrack des Albums, werden. „If you loved me, you wouldn’t put me through it“, singt Uchis mit ihrer zart rauchigen Stimme in „Killer“ über missbräuchliches Verhalten innerhalb einer Beziehung, die sie über fünf Jahre führt und durch die sie sich tiefer von ihrer Umgebung isoliert.

Ein kleiner Vorgeschmack auf Youtube:

„I’m packing all my bags and leaving it behind / there’s no tracking where I’m going” kündigt Kali Uchis im Intro „Body Language“ an und setzt damit nicht nur inhaltlich sondern auch musikalisch den Ton für „Isolation“. Innerhalb der nächsten knappen Stunde überrascht die Sängerin immer wieder mit verschiedensten Einflüssen und scheut nicht davor zurück, sich dafür die ein oder andere Starbesetzung mit ins Boot zu holen. Von Rapperin BIA, mit der sie in „Miami“ den American Dream besingt, zu The Internet‘s Steve Lacy in der Selbstfeierungshymne „Just a Stranger“, Tame Impala’s Kevin Parker, der die träumerischen Sounds auf „Tomorrow“ einspielt, Jorja Smith in der neo-souligen Single „Tyrant“, Tyler The Creator und Funk-Legende Bootsy Collins in der Hitsingle „After The Storm“ bis hin zu Damon Albarn, mit dem sie sich auf melancholischste Art bei „In My Dreams“ eine Welt erträumt, in der die einzige Sorge die Wahl des Outfits ist.

Auf ihrem Debütalbum überzeugt Uchis mit Einflüssen aus Bossa Nova, Soul, Reggaeton und Funk und erschafft so ein überraschend kohärentes Werk, das sowohl instagramsüchtige Teenies als auch den ein oder anderen selbsternannten Musikexperten überzeugt.


Das ganze Album bei Spotify:


Nebenan im Plattenregal:

Natalie Prass – The Future and the Past (2018)
Homeshake – Fresh Air (2017)
Slow Dancer – In A Mood (2017)

Anna St. Louis – If Only There Was A River (2018)

Während ihrer Jugend im mittleren Westen hatte Anna St. Louis in wütenden Punkbands gespielt. Nach einem Umzug nach LA entdeckte sie aber im Umfeld des Labels Woodsist ihre Liebe zum Folk wieder.

Anna St Louis

Erschienen am 12. Oktober 2018 auf Woodsist

Schon 2015 nahm Anna St. Louis zuhause ein Demotape auf, dessen Material im Kern fast identisch mit dem nun erschienenen Debütalbum ist. Produzent Kevin Morby hat aber offensichtlich ein gutes Händchen, den Charme einer solchen Aufnahme im Kontext einer professionellen Produktion im Studio zu konservieren. Das erreicht er vor allem durch eine eiserne Disziplin bei der Aufnahmelautstärke: Häufig singt Anna St. Louis im untersten Bereich ihrer dynamischen Reichweite, aber dann muss eben einfach das Mikrofon näher ran und Nebengeräusche wie der Atem werden eingefangen wie durch einen akustischen Zoom. Wo Instrumente die Zimmerlautstärke überschreiten, scheinen sie dagegen fast im Nebenraum zu stehen. Das erzeugt Intimität und eine heimelige Atmosphäre, auch in den lauteren Nummern mit extra Gitarre und Schlagzeug.

Das Musikvideo zur Single „Understand“ auf Youtube:

Auf Albumlänge stellt sich heraus, dass Anna St. Louis mit Hits wie Understand ziemlich knauserig ist. Der in diesem Metier durchaus übliche Kracher aus der Schublade Folk-Rock ist ihre Sache nicht. Es sind eher die leisen und ganz leisen Töne, die ihre Qualitäten als Sängerin und Songwriterin sichtbar machen. Die gewohnten Fahrwasser des Indie Folk verlässt sie zugunsten minimalistischer Exkursionen in das weitestgehend unentdeckte Land zwischen Blues, Country und der traditionellen Musik nordamerikanischer Ureinwohner. Das erinnert natürlich an Buffy Sainte-Marie, die vor etwa einem halben Jahrhundert Erkundungen in die Musik ihrer Vorfahren anstellte und so zu ihrem unverkennbaren Stil fand. Soweit ist Anna St. Louis auf ihrem Debüt noch nicht, aber es ist auch deutlich mehr als nur ein vielversprechender Anfang.

Das ganze Album auf Spotify:


Ähnliche Platten:

Haley Heynderickx – I need to start a garden (2018)
Jess Williamson – Cosmic Wink (2018)
The Weather Station – The Weather Station: Intimer Folk mit elektrischen Impulsen

Jess Williamson – Cosmic Wink (2018)

In ihrer Heimat Texas tauchte Jess Williamson musikalisch immer weiter in eine tiefe Melancholie ab. Mit dem Umzug nach LA und ihrem neuen Album überwindet sie nun diese Einbahnstraße und beweist ein besonderes Talent für eine extrem stimmungsvolle Vertonung von gemischten Gefühlen.

Erschienen am 11. Mai 2018 bei Mexican Summer

Manche Platten erschließen sich weder auf den ersten noch auf den zweiten oder dritten Blick, sondern zunächst gar nicht. Und dann kommen irgendwann aus den Tiefen des Bewusstseins Phrasen und Akkorde zum Vorschein, die das innere Auge für große Orientierungsschwierigkeiten stellen. Wo und wann habe ich dieses Lied eigentlich gehört, dass mir seit Tagen fragmentarisch im Kopf herumspukt? Und noch wichtiger: Von wem ist das und warum habe ich mir die Platte nicht gleich gekauft? In diesem Fall ist dieses Phänomen sogar bei mehreren Liedern unabhängig voneinander eingetreten, zuerst mit „Awakening Baby“, dann mit „Wild Rain“ und zum Schluss auch noch mit „I see the white“ – welch eine Erlösung, Monate später endlich auf den Zusammenhang zu stoßen.

Das Musikvideo zur Single „I see the white“ auf Youtube:

 

 


Und wieder ist da ein ganz großes Rätsel: Was ist die magische Zutat, die aus solchen unscheinbaren Liedern dermaßen hartnäckige Ohrwürmer macht? Wahrscheinlich ist es ein Zusammentreffen von mehreren Faktoren. Zum einen, dass die Songs nicht zielstrebig auf einen Punkt zusteuern, sondern eher beiläufig ein vertrautes Gefühl umkreisen. Zum anderen, dass Texte und Melodien fast minimalistisch reduziert sind. Vor allem aber ist  da diese halb flüsternde Stimme und eine alles umschließende klangliche Atmosphäre, so als würde man bei Freunden im Schlafzimmer-Studio auf dem Bettvorleger liegen und heimlich bei den Aufnahmen lauschen. Das Ergebnis ist ein absolut singuläres Album, dass sich unfassbar schwer in Worte fassen lässt und dessen vage Beschreibung alleine mehrere Anläufe und wochenlanges Grübeln benötigte.


Das ganze Album auf Spotify:

 


Ähnlich einzigartige Platten:
Lorain – Through Frames (2018)
Buck Meek – Buck Meek (2018)
Halo Maud – Je Suis Une Île (2018)