The War on Drugs – Lost in the dream (2014)

Mit ihrem dritten Album „Lost in the dream“ schafften The War on Drugs 2014 den Sprung vom Geheimtipp zu einer international erfolgreichen Band. Verdientermaßen, denn die Platte ist nicht nur ihre bisher beste, sondern könnte sich sogar als Wendepunkt in der Entwicklung der Rockmusik herausstellen.

TWOD

VÖ: 17.3.2014 auf Secretly Canadian
Referenzen: Dire Straits, Bruce Springsteen, Tom Petty, Don Henley
Stichworte: Nachts / Regen / Whisky / Alleine

Nach dem Ausstieg von Quasi-Frontmann Kurt Vile, der kurze Zeit später mit einem großartigen Solo-Debüt durchstarten sollte, wurde es zunächst ruhig um die fast schon alteingesessene Band aus Philadelphia. Viele hatten The War on Drugs wohl schon abgeschrieben, als mit Lost in the dream das erste Album unter der Federführung des bis dato eher zweitrangigen Gitarristen Adam Granducziel erschien. Im Vergleich zu den vorangegangenen Produktionen setzte man auf einen teuren und perfektionistischen Vintage-Sound, der sich deutlich hörbar an den großen Hochglanzproduktionen des analogen Zeitalters orientiert. Zusammen mit einem Hauch Americana-Feeling, unzähligen verhallten Gitarren in gigantischen Echoschleifen und dem durchaus melodischen, aber eher sporadischen und meistens genuscheltem Gesang führten die weit über das Radioformat hinausgehenden Songs zu Vergleichen mit zahlreichen legendären Gestalten der Rockmusikgeschichte.

Das ist zunächst ein mal harter Tobak, aber tatsächlich sind diese Vergleiche mit unhippen grauen Eminenzen, die zum Zeitpunkt des Erscheinens von vielen noch als Kritik verstanden wurden, nicht zu hoch gegriffen. Im Gegenteil, die Qualitäten von The War on Drugs gehen weit über den virtuosen Rock-Klassizismus hinaus, der inzwischen viele Bands konkreten Vorbildern aus den 70ern nacheifern lässt. Hier werden die alten Muster nicht einfach kopiert und der Sound archäologisch nachgebildet, sondern in ein eindeutig im Heute verorteten Netz subjektiver Melancholie eingewoben. Lost in the dream ist deshalb ein außergewöhnlich passender Titel, weil er nicht nur auf emotionaler, sondern auch auf kulturphänomenologischer Ebene die Identität dieses Albums reflektiert. The War on Drugs verlieren sich buchstäblich in den Echoräumen des amerikanischen Traums, und ihre künstlerische Beschäftigung mit diesem Gefühl ist nicht nur brandaktuell, sondern auch spartenübergreifend eine der intensivsten, gelungensten und auch schönsten Versuche überhaupt, dem mythischen Kern dieser tragischen Verfallsgeschichte beizukommen.

Eine weitere, vielleicht entscheidende Qualität dieser Platte ist wahrscheinlich auch die krachende Absage an die verwertungslogisch konzipierten Formate der heutigen Zeit. Es gibt von allen Liedern Maximalversionen mit ausufernden Intros und Outros, unübersichtlichen Übergängen und endlosen Instrumentalparts. So etwas trägt normalerweise leider nicht nur zur atmosphärischen Dichte des Albums bei, sondern schreckt oft auch einen Großteil der Radiomacher und Playlist-Kuratoren und damit indirekt auch viele Plattenkäufer ab. Normalerweise, denn The War on Drugs machen dieser Kalkulation einen fetten Strich durch die Rechnung und sammeln Abermillionen Streams und Radioplays sowie abertausende verkaufte physische Einheiten ein, vor allem auf Vinyl. Es geht also doch, man muss „nur“ zehn gute Lieder machen, die inhaltliche Relevanz, Innovation und die Verbindung zu den Traditionsfeldern der Rockmusik miteinander in Einklang bringen, anstatt sie kurzerhand als Widerspruch zu brandmarken. Eigentlich ganz einfach zu verstehen, aber doch schwer umzusetzen in einer Industrie, die Musik seit Jahren vermarktet wie Scherzartikel: Hier schau mal, so etwas hast du noch nicht gesehen.

The War on Drugs knüpfen an die goldenen Zeiten der Rockmusik an, weil sie wie Großteile des Publikums eine intensive Auseinandersetzung mit diesen pflegen und von dieser gemeinsamen Basis aus nach vorne schauen. Ganz nebenbei leiten sie damit etwas ein, was sich hoffentlich in einigen Jahren nicht nur als kurzlebiger Trend, sondern als Renaissance des Albums herausstellen wird. Für mich als Musikhörer war die Begegnung mit dieser Platte nicht weniger als ein Erweckungserlebnis, das letztlich den Grundstein gelegt hat für meine Auseinandersetzung mit dem Albumformat und damit auch für diesen Blog. Unabhängig von meinem persönlichen Empfinden zögere ich außerdem nicht, Lost in the dream zu den wichtigsten Platten unserer Zeit und zu den besten Platten aller Zeiten zu zählen.

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