Ganz tief ins Herz von Amerika: Wer Bruce Springsteen und Billy Joel gar nicht mag, kann sofort weiterklicken. Für alle anderen hat Craig Finn einen fantastischen Zyklus von musikalischen Geschichten aus dem Rust Belt aus dem Boden gestampft.
Erschienen am 26. April 2019 bei PTKF
Der ganz große Sänger war Craig Finn noch nie. Dafür ist er ein fantastischer Geschichtenerzähler, der Alben von romanhafter Dichte schreibt und mit unwiderstehlichem Feuer vorträgt. Seine Charaktere sind durch die Bank Verlierer, sie treffen in ihrem Leben die falschen Entscheidungen und der Gegenwind des Schicksals bläst ihnen bei jeder Gelegenheit ins Gesicht. Und doch liegt in seiner Musik keinerlei Verbitterung, die Resignation entpuppt sich als Erlösung von einem Kampf, den niemand gewinnen kann. Zusammen mit seiner Truckerstimme, der textlastigen Songsstrukturen und dem explizit amerikanischen Setting ist diese Grundstimmung nicht unbedingt das, was europäische Musikfans in Scharen mitreißt. Auch deshalb gehört Craig Finn wohl zu dieser eigenartigen Spezies von Rockern, die ihre Erfolge ausschließlich in Nordamerika feiern.
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Das ist schade, denn auch wer dem literarischen Aspekt von Popmusik nicht die allergrößte Aufmerksamkeit schenkt, kann mit diesem Album einiges erleben. Die ganze Palette an Stilmitteln zwischen Blues und R&B bis hin zu Country und Folk steht Craig Finn und seinem erweiterten Studio-Ensemble zur Verfügung, um die tief in der Rock-Tradition verwurzelten Geschichten des Albums atmosphärisch und stimmungsvoll zu inszenieren. Die Orgeln kreischen, schwerelos gleiten die Gitarrenmelodien dahin und hier und da gesellen sich Bläser oder sogar Chöre dazu. Das ist für unsere Ohren manchmal überladen, macht aber erstens durchweg inhaltlich Sinn und zweitens oft genug Platz für mühelos stromaufwärts schwimmende Grooves, wie sie nur gut abgehangene Rockmusiker nach vielen Jahren Tourleben hinkriegen. Und auch wenn Craig Finn international auch diesmal keine Bäume ausreißen wird, so hat er wenigstens seine bislang beste Platte abgeliefert und sich fest als einer der führenden Songpoeten des Rust Belts etabliert.
Zeitsprung in die weirden Siebziger: Drugdealer pflügt mit Liebe zum Detail und viel Augenzwinkern durch eine Szenerie aus bekifften Rockstars und koksenden Hitproduzenten.
Erschienen am 18. April 2019 bei Mexican Summer
Drugdealer ist weniger eine Band als eine Spielwiese für Michael Collins und seine musikalischen Freunde, zu denen bekanntere (Ariel Pink, Weyes Blood) und unbekanntere Künstlerpersönlichkeiten (Harley Hill-Richmond, Doug Poole) gehören. Schon das überragende Debüt The End of Comedy vor drei Jahren war eine schillernde Ansammlung von skizzenhaften Studien im Bereich 70er Popkultur, auf Raw Honey wird dieser Weg noch konsequenter weitergeführt. Das Album beginnt mit einer instrumentalen Nummer mit dem treffenden Titel You’ve got to be kidding, die ohne weiteres als Titelmelodie für einen Softporno durchgehen würde. Dann kommt Weyes Blood, die vor wenigen Wochen mit Titanic Rising ihr bislang bestes Album veröffentlicht hat, und trällert eine ausufernde Countryrock-Ballade.
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Das Herzstück des Albums ist aber die Single Fools, ein Song, für den Musikproduzenten vor 45 Jahren sogar ihre eigene Großmutter verkauft hätten. Den spezifischen Tonfall der damals im Goldrausch befindlichen Musikindustrie trifft Drugdealer wie immer mit millimetergenauer Präzision. Spätestens anhand des dazugehörigen Videos (und allerspätestens am Ende des Schlagzeug-Breaks bei 1:45) wird aber deutlich, dass es sich hier nicht nur um eine Hommage, sondern auch um eine Satire handelt. Die Gratwanderung zwischen pedantischer Rekonstruktion und messerscharfem Humor, zwischen großen Gefühlen und kleinen Gemeinheiten gelingt auch dank der fantastisch aufgelegten Gaststars durchweg und beschert uns nicht nur eine großartige Platte, sondern auch einen erfrischend albernen Gegenentwurf zur meistens bierernsten Rock-Retromanie.
Weil sich Aufregung eher selten lohnt: Big Search kurbelt den Liegestuhl ganz weit zurück und genießt eine Spritztour durch die Musikwelten der amerikanischen Westküste.
Erschienen am 12. April 2019 bei 30th Century Records
Text: Tobias Breier
Hinter Big Search steckt der umtriebige kalifornische Musiker Matt Popieluch, der an einem sehr abwechslungsreichen Werdegang als Musiker bastelt. Stationen als Frontmann der Rockband Foreign Born, Filmkomponist und als Session Man für Cass McCombs, Papercuts oder Fool’s Gold begleiten seine Solokarriere, die 2016 mit dem unbedingt hörenswerten vierten Album Life Dollarseinen vorläufigen Höhepunkt fand. Auch wenn der ganz große Publikumserfolg bislang leider ausblieb, ist Big Search spätestens seit dieser Veröffentlichung eine feste Größe der Westküsten-Szene.
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Zur Schau gestellte musikalische Innovationen oder stilistische Statements hatte Popieluch derweil noch nie wirklich nötig und so ist es auch weder überraschend noch enttäuschend, dass er sich auch auf Slow Fascination an einem im positivsten Sinne des Wortes konventionellen Modell abarbeitet: Ein guter Song, ein klassisches Rock-Instrumentarium, und eine tiefenentspannte Performance im Studio. Das Ergebnis ist ein zeitloses Album, das einfach Spaß macht und die ein oder andere stilistische Spitzfindigkeit sowie so manchen etwas tiefgründigeren Exkurse perfekt in seine Alltagstauglichkeit integriert.
Voll auf die zwölf: Caroline Rose testet mit ihrem dritten Album aus, wie viele Hits auf eine Indie-Platte passen.
Erschienen am 22. Februar 2018 bei New West Records
The Soft Rock Café empfiehlt Caroline Rose Live: 28. Mai | Queer Festival, Heidelberg
29. Mai | TapTab Musikraum, Schaffhausen
1. Juni | Puls Open Air, Geltendorf Tickets gibt’s hier!
Es ist ein uraltes Klischee im Showbusiness: Komödienstars, die verzweifelt auf der Suche nach ernsten Rollen sind und dann plötzlich alle mit ihrem großen schauspielerischen Talent überraschen. Auf sehr eindrucksvolle Weise geht Caroline Rose diesen Weg mit ihrem dritten Album Loner in die umgekehrte Richtung. Nachdem sie sich mit einem sehr introvertierten Debüt und einer musikalisch extrem anspruchsvollen zweiten Platte bei der Kritik jede Menge Respekt verschaffte, steht nun der Spaß im Vordergrund. Das heißt nicht, dass sich hinter den Tanzflächen-Ambitionen und den unwiderstehlichen Pop-Hooks keine ernsthaften Themen verbergen. Der Überhit „Jeannie becomes a mom“ mit seinem oscarverdächtigen Musikvideo steht exemplarisch für diesen ziemlich einzigartigen Brückenbau zwischen Chartqualitäten und tiefgründigem Storytelling.
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Die neue Souveränität beflügelt Caroline Rose, ihre Stimme ist durchschlagskräftiger als je zuvor und nimmt zwischen verführerischen Balladen und manischer Eskalation jede Rolle überzeugend ein. Der exzessive Einsatz von Verzerrung auf den Vocals und den omnipräsenten Billigorgeln macht ordentlich Druck und verpasst der ansonsten glasklaren Produktion die nötige Portion Trash-Ästhetik. Einige Fans ihres früheren Schaffen werden es möglicherweise etwas schwierig finden, Caroline Rose auf ihrem neuen Weg bis zum Ende zu folgen. Dementsprechende Verlustängste scheinen die Amerikanerin aber nicht im geringsten zu tangieren, im Gegenteil: Die Mehrheit der Songs ist wie geschaffen für die Funktion als Türöffner zu deutlich größeren Bühnen als bisher. Und eigentlich besteht kein Zweifel daran, dass Caroline Rose gut vorbereitet ist auf das helle Rampenlicht.
Auch unabhängig vom Weltfrauentag die Platte der Stunde: Mit ihrem beeindruckenden Debüt bei Secretly Canadian zeigt Stella Donnelly, dass sie eine der wichtigsten Stimmen in der immer noch männlich geprägten Welt der Gitarrenmusik werden kann.
Erschienen am 8. März 2019 bei Secretly Canadian
Text: Tobias Breier
Es hatte sich schon angedeutet, als sie im vergangenen Jahr ihre erste EP Thrush Metal inklusive des Mini-Hits Boys Will Be Boys veröffentlichte: Stella Donnelly ist ein Name, den man sich merken muss. Ausgerechnet am Weltfrauentag erscheint nun ihr Debüt-Album und schon nach wenigen Akkorden des grandiosen Openers Old Man ist klar, wo die Reise hingeht. Die Australierin denkt gar nicht daran, ihre im besten Sinne feministischen Ansagen hinter sperriger Musik zu verstecken. Im Gegenteil, ihre ausgeprägte Pop-Sensibilität und eine feine Erzählkunst kommen mit jedem Song mehr zum Vorschein. Würde Stella Donnelly diese Qualitäten noch ein bisschen stärker konzentrieren, eine Mainstream-Produktion zulassen und die absichtlich schrägen Indie-Elemente ganz weglassen, wären Songs wie Die oder Tricks ein klarer Fall für die Charts.
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Naturgemäß wird Stella Donnelly mit ihrem Debüt vor allem Vergleiche mit anderen jungen Sängerinnen wie Soccer Mommy oder Snail Mail ernten. Das ist einerseits nachvollziehbar, andererseits aber auch extrem unsachgemäß und schade, auch wenn diese Vergleiche natürlich an sich keineswegs ehrenrührig sind. Natürlich ähneln Frauenstimmen immer noch eher Frauenstimmen und leider finden es offenbar immer noch viele (ausgerechnet männliche) Kommentatoren erstaunlich, wenn Frauen bestechend Gitarre spielen. Den spezifischen musikalischen Qualitäten und der künstlerischen Vision von Beware Of The Dogs würde man aber wohl am ehesten mit einem Verweis auf Mac DeMarco gerecht werden, der nun mal als erstes den schmalen Grat zwischen Slacker-Geschrammel und minutiös perfektionierten Ohrwürmern als Spielwiese ausgemacht hat. Dieses fantastische Debüt lässt jedenfalls hoffen, dass wir eines Tages auch umgekehrt Stella Donnelly und andere weibliche Künstlerinnen beim Name-Dropping als Maßstab ansetzen, sogar wenn es sich bei dem namenlosen Newcomer um einen Mann handelt.
Mit Rollerblades auf die südenglische Strandpromenade: Holiday Ghosts aus Cornwall machen mit lässigem LoFi-Rock ’n‘ Roll ziemlich viel richtig.
Erschienen am 15. Februar 2019 auf PNKSLM Recordings.
Manchmal gibt es Tage und die dazugehörigen Platten, die einem auch mal den guten alten Texteinstieg mit Wetterbezug erlauben. Also: Draußen wehen Vorahnungen des Vorfrühlings durch die Straßen, das Wochenende naht und Holiday Ghosts aus dem Süden Englands drücken euch mit charmantem Lächeln die perfekte Platte dazu in die Hand. Wunderbar lässiger LoFi-Rock ’n‘ Roll, der geradezu nach Sonnenbrille und einem eiskalten Heineken schreit. Manchmal braucht es eben nur in Töne gegossene Attitüde, um ein Album zu einer runden Sache zu machen.
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Dementsprechend wird man auf West Bay Playroom zwar ziemlich viel Spaß, aber keine wirklichen inhaltlichen Überraschungen finden – die musikalischen Vorbilder haben in dieser Hinsicht vielleicht aber auch einfach schon alles gesagt. Für tiefergehende Informationen wende man sich daher bitte an The Modern Lovers, Violent Femmes, The Pretty Things oder die diversen Projekte von Billy Childish. Soviel ist allerdings sicher: Die zweite Platte der vier Boys und Girls aus Cornwall klingt ganz bestimmt auch noch gut, wenn das Wetter wieder schlechter wird.
West-Coast-Rocker Cass McCombs singt vom Leben im postfaktischen Amerika.
Erschienen am 8. Februar 2019 bei Anti-Records
Obwohl ihm das Etikett gerne anhaftet: Americana ist an Cass McCombs eigentlich nur seine Biographie als autodidaktischer Hobo, der seine Zwanziger auf Sofas von Bekannten, in schummrigen Bars und Universitätsbibliotheken zwischen San Francisco und New York verbracht hat. Ansonsten ist der oft ein wenig enigmatisch daherkommende Kalifornier vor allem ein Genre-Anarchist. Seine früheren Platten zitieren noisigen Punk, Garage-Rock, Blues, Folk und den smoothen Westküsten-Sound der 70er – irgendwo zwischen Grateful Dead und Little Feat.
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Auch auf seinem neunten Album nimmt McCombs alles mit, was die 70er an Brauchbarem hinterlassen haben und baut sich daraus wieder ein ganz eigenes musikalisches Heim. Der zweite Track „The Great Pixley Train Robbery“ (Video oben), lockt da mit seinem zwingenden Outlaw-Rock allerdings erst einmal auf die falsche Fährte. Denn auf dem Rest der Platte dominieren die für McCombs mittlerweile so typischen subtilen Gesten – auch in den Lyrics. Und doch – oder gerade deswegen – lohnt sich in beiden Bereichen wieder einmal das genaue Hinhören. Denn auch wenn das Rhodes Piano noch so leichtfüßig grooven mag, textlich zeigt sich McCombs als einer der wenigen zeitgenössischen Künstler, dem es um mehr als nur Beziehungsanalysen, Kifferfantasien und Eskapismus geht. Der Kalifornien beschäftigt sich auf „Tip of the Sphere“ mit Phänomen der postfaktischen Demokratie, Ungerechtigkeit oder der Psychologie des Verbrechens. Cass McCombs beweist damit: Auch das Subtile ist politisch.
Mit 50 Jahren gewinnt der Blick zurück an Klarheit. Das gilt im Leben ebenso wie in der Popmusik. Was bleibt übrig, wenn Hypes und Zeitgeist sich verabschiedet haben? In unserer Serie „Fünfziger“ geht es deshalb um Platten, die vor genau einem halben Jahrhundert ihren Fußbadruck in der Musikgeschichte hinterlassen haben. Heute: Gram Parsons und sein psychedelischer Kreuzzug nach Nashville.
Mit 50 Jahren gewinnt der Blick zurück an Klarheit. Das gilt im Leben ebenso wie in der Popmusik. Was bleibt übrig, wenn Hypes und Zeitgeist sich verabschiedet haben? In unserer Serie „Fünfziger“ geht es deshalb um Platten, die vor genau einem halben Jahrhundert ihren Fußbadruck in der Musikgeschichte hinterlassen haben. Heute: Gram Parsons und sein psychedelischer Kreuzzug nach Nashville.
Was tut man als millionenschwerer Erbe einer erzkonservativen Südstaaten-Familie im Jahr 1969, wenn man mit einer göttlichen Stimme gesegnet ist und das Leben als Sänger der Byrds langweilig wird? Na klar: Man versammelt die besten Musiker weit und breit und sucht völlig zugedröhnt nach der sagenumwobenen Kreuzung zwischen Country und Soul, um von dort aus mit brennenden amerikanischen Fahnen in den Sonnenuntergang zu reiten. Gram Parsons und seine Flying Burrito Brothers veröffentlichten am 6. Februar 1969 mit The Gilded Palace of Sin ein Album für die Ewigkeit, dass wie so viele legendäre Platten zum Zeitpunkt seines Erscheinens so gut wie unbeachtet blieb.
Gram Parsons ist eine der schillerndsten Figuren der amerikanischen Musikgeschichte, im deutschsprachigen Raum aber so gut wie unbekannt. In seiner Heimat ranken sich so viele halbwahre, frei erfundene und teilweise unfassbar absurde Geschichten um seine Person, dass eine historisch abgesicherte Einordnung seiner Biographie fast unmöglich erscheint. Folgt man der Mythologisierung bis zum bitteren Ende, so war er ein Mitglied der Manson Family, der Geliebte von Keith Richards und jemand, der seinen eigenen Leichnam von seinem Tourmanager aus den Händen der trauernden Familie entführen ließ, um unter den Joshua Trees in der gleichnamigen kalifornischen Wüste rituell verbrannt zu werden.
Verbürgt ist davon zumindest, dass sein Tourmanager Phil Kaufman dem Massenmörder Charles Manson bei einem gemeinsamen Knastaufenthalt Anfang der Sechziger eine Gitarre geschenkt hatte. Richtig ist auch, dass die Rolling Stones zumindest misstrauisch beäugten, was Keith mit diesem jungen Amerikaner im stillen Kämmerlein trieb. Vermutlich spritzten sich die beiden einfach ununterbrochen gegenseitig Heroin und schrieben massenhaft Songs, von denen außer Wild Horses leider keiner das vermeintliche Liebesnest der beiden Freunde verließ. Dass der zuerst von den Flying Burrito Brothers und später erst von den Rolling Stones veröffentlichte Klassiker ursprünglich aus Parsons Feder stammt, stritt er in seinem letzten Interview 1973 selbst ab, das Gerücht gibt es bis heute. Tatsache ist aber, dass die Freundschaft mit Parsons das Gitarrenspiel von Keith Richards entscheidend prägte und damit auch die Country-Elemente auf Sticky Fingers und anderen Alben um 1970 begründete. Ein Trend, der in der britischen Heimat der Stones unter anderem bei Elton John, Rod Stewart und dessen Band The Faces auf fruchtbaren Boden fiel.
Der halbwegs verifizierbare Hauptstrang der Lebensgeschichte von Gram Parsons bis zur Gründung der Flying Burrito Brothers geht in etwa so: Geboren am 5. November 1946 als Enkel eines Großgrundbesitzers in Florida, sah der neunjährige Gram Parsons einen Auftritt von Elvis Presley und entschied sich sofort für ein Leben als Musiker. Nach dem Selbstmord seines Vaters und dem alkoholbedingten Tod seiner Mutter wurde er für den Rest seines Lebens mit einem großzügige bemessenen Trust Fund ausgestattet, schrieb sich in Harvard für Theologie ein und gründete dort die International Submarine Band. Mit seinen Kommilitonen erreichte er lokal schnell eine große Popularität, schon bald wurde die Truppe als Geheimtipp gehandelt und siedelte nach nur einem halben Jahr nach New York City über, um sich ganz einer musikalischen Karriere zu widmen.
Noch bevor das heute legendäre Debüt-Album der International Submarine Band veröffentlicht wurde, wurde Gram Parsons aber von den Byrds abgeworben und verließ seine erste ernsthafte Band. Trotz seiner Unerfahrenheit überzeugte er die damals wohl erfolgreichste Gruppe des Landes von seiner Vision einer Synthese aus Country und Rock, die in Form des zunächst kommerziell gescheiterten aber heute anerkannten Konzeptalbums Sweetheart of the Rodeo verwirklicht wurde. Doch schon nach wenigen Monaten stieg er aus, angeblich weil er an einer Tour durch Südafrika aus Protest gegen die Apartheid nicht teilnehmen wollte.
Wie so oft gelang es dem charismatischen Sänger auch an diesem Punkt, die entscheidenden Persönlichkeiten für sich einzunehmen und für immer an sich zu binden. Denn zur Kernbesetzung seiner neuen Band Flying Burrito Brothers gehörte mit Chris Hillman auch ein Gründungsvater der Byrds und damit einer der am besten vernetzten Köpfe in den Bereichen Country, Bluegrass und Folk sowie dem Musikbusiness insgesamt.
Die Entstehung des eigentlichen Albums ist im Gegensatz zu seiner Vorgeschichte schnell beschrieben: Fünf der wahrscheinlich besten Musiker auf ihrem Gebiet gehen in Nashville für ein paar Wochen ins Studio und berauschen sich an allen möglichen Drogen, vor allem aber an ihrem elektrisierenden Zusammenspiel. Das Songmaterial ist fantastisch, einige der besten Kompositionen von Hillman und Parsons treffen auf geschmackvoll ausgesuchte zeitlose Klassiker und intelligente Picks aus der zweiten Reihe wie das ergreifende Dark End of the Street, ein vergessener Hit des Soulsängers James Carr.
Für ungeübte mitteleuropäische Ohren mag sich die Version der Flying Burrito Brothers mit dem typischen Pedal Steel nach purem Country anhören, bei genauerem Hinhören und vor allem im Vergleich zu zeitgenössischen Aufnahmen aus Nashville erschließt sich aber, dass die Grenzüberschreitung keineswegs nur in der Wahl des Songs liegt. Parsons ließ sich auch vom emotionalen Gesangsstil eines James Carr inspirieren und die Band wird mitgerissen von einem verschleppten Groove, den die Countrywelt so noch nie gesehen hat.
Thematisch entspricht Dark End of the Street dem Profil des Cheating Songs, einem Topos, der bis heute auf fast jeder Countryplatte zu finden ist. Tatsächlich liefern die Flying Burrito Brothers quasi einen Blueprint für die perfekte Zusammenstellung eines Albums aus den klassischen Song-Formaten: Do Right Woman ist eine der ergreifendsten Country-Balladen aller Zeiten, Hippie Boy erfindet die obligatorische Spoken-Word-Nummer als surrealistisches Mini-Hörspiel inlusive Gospelchor neu und der wilde Doppelschlag aus Hot Burrito No. 1 und 2 scheint die spätere Annäherung an die Wut des Punk vorwegzunehmen. Die Ausgewogenheit dieser Konstellation geht soweit, dass man aus heutiger Sicht fast schon von der Einführung des Konzeptalbums in die bis dato auf Singles fixierte Countrywelt sprechen kann. Parsons liebte die Traditionen, aber er hasste den politisch reaktionären und kommerziellen Aspekt Nashvilles und diese Platte wirkt wie ein Manifest für eine Neuerfindung des Country aus seiner eigenen Tradition und der Versöhnung mit dem Rest der (amerikanischen) Musikwelt.
So verschmelzen die Flying Burrito Brothers mithilfe eines geradezu rauschhaften Zusammenspiels vermeintlich unversöhnliche Stränge der amerikanischen Populärkultur zu einem kosmischen Schauspiel, das bis heute als Inspirationsquelle für unzählige Seelenverwandte von Parsons in einer der lebendigsten Musikszenen der Welt strahlt. Diese Musik brennt in jeder Sekunde lichterloh und das Feuerwerk an psychedelisch angehauchten Grenzüberschreitungen zwischen Country, Rock und Soul ist der plattengewordene Beweis, dass es irgendwo ganz tief unten in der amerikanischen Seele einen gemeinsamen Kern gibt. Dahinter verbirgt sich eine Hoffnung, die zu Lebzeiten Gram Parsons trotz Vietnam und dem Nachhall der Segregation in weiten Kreisen der Gesellschaft wesentlich selbstverständlicher war als heute. Deshalb hat The Gilded Palace of Sin in 50 Jahren nichts an Aktualität verloren und ist der perfekte Ausgangspunkt für jeden mitteleuropäischen Musikliebhaber, um die eigenen anti-amerikanischen Ressentiments abzustreifen und den gigantischen Kosmos der Countrymusik für sich zu entdecken.
Die Zutaten waren auf dem Debüt vor zwei Jahren schon da. Aber erst auf diesem zweiten Album gelingt es River Whyless wirklich, ihren facettenreichen Stilmix in einen unwiderstehlichen Sound zu verwandeln.
Erschienen am 12. Juli 2018 bei House Arrest / Roll Call
Manchmal braucht man als Band Impulse von außen, um so richtig in Fahrt zu kommen. 2016 hatten River Whyless ihr erstes Album „We All The Light“ veröffentlicht, leider mit mäßigem Erfolg. Dabei hatte es durchaus seine Stärken: Eingängige Melodien trafen auf bisweilen exotische Rhythmen und einen folkigen Bandsound, der in Sachen Zusammenspiel mit akustischen Instrumenten schon damals über jeden Zweifel erhaben war. Es fehlte ein wenig das Gefühl der Überzeugung und Dringlichkeit, die Platte wirkte insgesamt fast ein bisschen unbeteiligt daher gespielt. Doch dann kam auch für die Band aus Ashville in North Carolina der Schock durch die Präsidentschaftswahlen und damit das Bedürfnis, mit der Musik eine ganz klare, starke Aussage zu treffen. So etwas kann durchaus in die Hose gehen, im Falle von River Whyless aber führt es dazu, dass die Einzelteile plötzlich wie ein Uhrwerk ineinander greifen.
Das Musikvideo zur Single „Born in the right country“ auf Youtube:
Plötzlich macht alles Sinn: Die weltoffene Zutatenliste, die melancholische Grundstimmung und das extrem reflektierte Songwriting ergeben den bislang vielleicht wertvollsten musikalischen Kommentar zur fortschreitenden Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, die Europa inzwischen nicht nur im übertragenen Sinne betrifft. Und anders als bei dezidiert politischen Songs fehlt bei River Whyless nie die Leichtigkeit, die das Ganze erträglich und hörenswert macht. Handfeste Agitation und gehässige Rechthaberei ist ihre Sache nicht, der irgendwie doch uramerikanische Sound scheint eher auf Versöhnung und Verständigung aus zu sein. Und so fällt auch nicht weiter negativ auf, dass der Rest des Albums erneut recht unterschiedlich ausgearbeitet wurde. Hier blubbern nervöse Synthies, dort lassen die afrikanischen Rhythmen von Paul Simons Graceland-Phase grüßen. Aber das alles hat jetzt nicht nur Sinn und Zweck, sondern scheint im Gegensatz zum Debüt um eine fest verwurzelte Band-Identität zu kreisen. Das Ergebnis ist eine Platte, die sehr viel Freude macht und dank des fantastischen Zusammenspiels auch ein spektakuläres Live-Erlebnis verspricht.