Hand Habits – Placeholder (2019)

Mehr als nur ein Platzhalter: Versteckt hinter verträumten Americana-Gitarren sucht Meg Duffy nach den Spuren verblasster Beziehungen.

Erschienen am 1. März 2019 auf Saddle Creek

Mit Meg Duffy zeigt eine weitere Sessionmusikerin, dass sie auch den Platz in der ersten Reihe problemlos ausfüllen kann. Sonst als Gitarristin fester Bestandteil der Tourband von Folkrocker Kevin Morby, legt sie mit ihrem eigenen Projekt Hand Habits jetzt bereits das zweite Album vor. Und das Ergebnis – man möge diesen harten Bruch des Referenzrahmens verzeihen – könnte man als die perfekte musikalische Maultasche bezeichnen. Denn in Placeholder steckt die als verträumter Americana getarnte Umsetzung eines klaren und überzeugenden ästhetischen Programms.

Ein kleiner Vorgeschmack auf YouTube:

Dessen Inhalt gibt der Albumtitel vor. Es geht also um Leerstellen, um das, was bleibt, wenn Menschen aus dem Leben verschwinden, und um die Vergänglichkeit. Sind wir vielleicht nicht immer schon nur Platzhalter im Herzen des Anderen – mehr Symbol als Individuum?

„Oh, but I was just a placeholder
A lesson to be learned
Oh, I was just a placeholder
A place you will return“,

singt sie im Titeltrack. Und mit der schmerzhaften Akribie einer Archäologin gräbt Duffy anschließend ein ganzes Album lang in den verkrusteten Schichten ihrer Seele nach den Spuren verblasster Beziehungen und Gefühle. Die gefunden Artefakte packt sie dann aber wie zum Trotz in besonders schöne Vitrinen aus fragilen offenen Akkorden und sanften Slide-Gitarren. Das mag anfangs etwas irritieren, lädt aber vor allem dazu ein, die Platte immer und immer wieder auf neue Inhalte zu durchforsten.

Das ganze Album auf Bandcamp:

 

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Sam Evian – You, Forever (2018)

Sam Evian aus New York ist als Solokünstler 2016 mit seinem grandiosen Debüt „Premium“ in Erscheinung getreten. Das zweite Album ist noch entspannter, noch ideenreicher und noch besser geworden.

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Erschienen am 1. Juni 2018 auf Saddle Creek

Sam Owens ist nicht nur ein gefragter Sänger, Gitarrist, Produzent und Songwriter, sondern auch der Boyfriend von Model und Sängerin Hannah Cohen. Vor zwei Jahren ist er endlich auf die glorreiche Idee gekommen, all diese Funktionen als Sam Evian miteinander zu vereinen. Und da er in New York sehr gut vernetzt ist, hat er auf Anhieb ein zuverlässiges Label und kongeniale Mitmusiker gefunden, die bereits der ebenfalls empfehlenswerten Band Here We Go Magic angehören. Kein Wunder, denn seine Songs sind auf Anhieb mitreißend und eine dankbare Gelegenheit, dezent im Hintergrund mitzuschwimmen. Songorientierten Teamplayern macht so etwas einfach am meisten Spaß und das hört man auch.

Das Musikvideo zu You, Forever auf Youtube:


Das Album ist beim ersten, unaufmerksamen Hören insgesamt eher unspektakulär und eignet sich deshalb außerordentlich gut als Hintergrundmusik beim Autofahren, im Zug oder bei der Arbeit. Wer gut aufpasst, wird aber im Minutentakt mit liebevollen Details belohnt. Hier ein leise abgemixtes und verwaschen im Hallraum verschwindendes Saxofon-Solo, dort ebenso unaufdringliche und außergewöhnliche Gesangsharmonien von Hannah Cohen, vor allem aber alle paar Sekunden ein unglaublich geschmackvolles Gitarrenschmankerl von Sam Evian höchstpersönlich. Alles in allem ist You, Forever deshalb ein fantastisches Album, das trotz der weichgezeichneten Produktion jedes mal an Schärfe gewinnt und auch noch in ein paar Jahren den perfekten Soundtrack für einen lauen Sommerabend liefern wird.

Dieses Album auf Spotify:


Ähnliche Alben:

Bonny Doon – Long Wave
Nicholas Krgovich – In an Open Field
Bunny – Bunny

Big Thief – Capacity (2017)

Nur ein Jahr nach ihrem überragenden Debütalbum bringen Adrienne Lenker und ihre Freunde schon die zweite Platte heraus. Wenn sie weiterhin so gute Songs schreibt, darf das Quartett diesen Rhythmus gerne beibehalten.

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VÖ: 9.6.2017 auf Saddle Creek
Klingt fast ein bisschen wie: Angel Olson, PJ Harvey, Mitski
Stichworte: Nachts / Regen / Whisky / Alleine

Es ist etwas ungewöhnlich, dass eine Band weniger als ein Jahr nach ihrem Debüt ein zweites Album veröffentlicht. Wer die Produktionszeiträume kennt, kann sich denken, dass große Teile des Nachfolgers schon vor der Veröffentlichung des Erstlings im Kasten gewesen sein müssen. Die Sängerin Adrienne Lenker erklärte das in Interviews mit einem kreativen Knoten, der im Studio geplatzt sei. Als das erste Album fertig eingespielt war, hatte sie schon wieder ein gutes Dutzend Songs im Kopf und wollte einfach weiter aufnehmen, bevor es wieder auf Tour ging. Als im April mit Erscheinen der Vorabsingle Mythological Beauty auch gleich das neue Album angekündigt wurde, war die Überraschung groß. Und gleichzeitig musste man befürchten, dass die Band sich verzockt hatte, denn der Song ist ein wenig langatmig, sehr düster und passte mit seinem winterlichen Video überhaupt nicht zur Frühlingsstimmung vor Ostern.

Mit dem Erscheinen der zweiten Single Shark Smile deutete sich dann aber bereits an, dass Big Thief da weitermachen, wo sie aufgehört hatten. Und nun machte auch die erste Vorabsingle Sinn, denn offensichtlich ging es bei der Auswahl vor allem darum, die Entwicklung der Band exemplarisch darzustellen. Die traditionell geschulte, aber extrem kreative Gitarrenarbeit trägt weiterhin die mehr oder weniger folkigen Indie-Rocksongs, die jeweils passend zu den poetisch formulierten Gedanken und Geschichten im Text sowohl melancholisch als auch euphorisch ausfallen können. Doch die dunklen Farben sind noch dunkler geworden und die hellen noch heller, die Intimität und Intensität der Texte ist noch extremer.

Eine schonungslose Auseinandersetzung mit sich selbst in der Musik wirkt bei vielen Künstlern befremdlich, nicht so aber in diesem Fall. Denn obwohl Adrienne Lenker erst 25 Jahre alt ist, hat sie schon eine Menge erlebt und musste sich alle Freiheiten, die ein Leben als Musiker verlangt, hart erkämpfen. Die tragischen Seiten ihrer fast romanhaften Vita, aber auch das große Glück, das sie in ihrer Arbeit erfährt, spiegelt sich in jedem Ton und jedem Takt der Musik wieder. Und wenn es so weitergeht mit der Inspiration, darf sie mit Big Thief gerne jedes Jahr ein neues Album veröffentlichen.