M. Ward – Migration Stories (2020)

Singer/Songwriter / Americana / Folk Rock

Es ist lange her, dass wir uns getroffen haben. Beim letzten Mal war ich noch einigermaßen jung und du warst noch nicht wirklich alt. Wir waren auf einer Hausparty mit den coolsten Leuten der Stadt, es gab Drogen und die Zeit stand still. Und jetzt also hier, in dieser dunklen Kaschemme. Der Rauch ist so dick und beißend in den Augen, ich habe dich fast nicht erkannt mit deinen grauen Haaren und deiner Kapuze. Du lehnst dich müde auf die Theke und erzählst mir, wo du überall herumgekommen bist in den ganzen Jahren. Wie du die ganze Welt auf den Kopf stellen wolltest und wie es sich anfühlte, all deine Träume nacheinander leise platzen zu sehen wie Seifenblasen im Regen. Jetzt ist alles vorbei und was uns bleibt, sind die langsam verblassenden Erinnerungen. Mach’s gut, hat mich gefreut dich mal wieder zu sehen.

Nebenan im Plattenregal:
Simon Joyner – Pocket Moon (2019)
Living Hour – Softer Faces (2019)
Cass McCombs – Tip of the Sphere (2019)

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Simon Joyner – Pocket Moon (2019)

Das am besten gehütete Geheimnis der Folkwelt: Simon Joyner ist spätestens seit dem Ende der 90er mit hoher Wahrscheinlichkeit einer der Lieblinge deiner musikalischen Lieblinge und beweist mit seinem neuen Album, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört.

BB*Island Records / 25. Oktober 2019 / Text: Tobias

Das am besten gehütete Geheimnis der Folkwelt: Simon Joyner ist spätestens seit dem Ende der 90er mit hoher Wahrscheinlichkeit einer der Lieblinge deiner musikalischen Lieblinge und beweist mit seinem neuen Album, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört.

Mit jedem seiner zahlreichen Alben hat Simon Joyner neue Vergleiche der Superlative herausgefordert. Ob Dylan, Cohen, Van Zandt oder Bright Eyes – es gibt kaum eine Folklegende, die noch nicht als Referenz für die Musik des Songpoeten aufgerufen wurde. Wer lyrischen Inhalt wichtiger findet als gesangliche Perfektion und auf minimalistische bis schräge Folksounds steht, findet mit Pocket Moon den perfekten Einstieg in die lohnende Entdeckungsreise durch Simon Joyners überwältigendes Gesamtwerk.

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Nebenan im Plattenregal:
Buck Meek: Buck Meek (2018)
Twain – Rare Feeling (2018)
Tré Burt – Caught It From The Rye (2018)

Sarah Bethe Nelson – Weird Glow (2019)

Ein sonderbares Schimmern: Sarah Bethe Nelsons drittes Album führt uns mit großen Melodien in die Irre und durch nächtliche Traumwelten zurück in die Nähe von vagen Lichtquellen.

Burger Records / 28. Juni 2019

Als Sarah Bethe Nelson 2015 endlich ihr erstes Solo-Album veröffentlichte, war sie in der Indie-Szene Kaliforniens schon lange eine feste Größe. 2004 war sie etwa an der Gründung der Band Prairiedog beteiligt, mit der sie nach San Francisco umsiedelte und bis 2011 mit mehreren bemerkenswerten Platten auf Tour war. Ihr sehr persönliches Debüt Fast Moving Clouds basierte auf ihren Erfahrungen als Barkeeper, die zweite Platte Oh, Evolution entstand deutlich hörbar aus dem Zusammenspiel mit ihrer Band auf Tour. Für Weird Glow hat sich Sarah Bethe Nelson mit Gitarrist und Produzent Rusty Miller eingeschlossen, was zu einem konzeptionell und inhaltlich vielschichtigerem Ansatz geführt hat.

Anklänge an Proto-Punk oder minimalistisch herumeiernden Art Pop à la Velvet Underground sind zahlreich, Elemente aus entlegeneren Assoziationsräumen wie Country Noir und Desert Folk unterstützen klanglich den filmhaften Charakter. Das gilt ganz besonders für den monumentalen letzten Song 8th and Hooper, der drei bescheidene Akkorde mithilfe von viel Gitarrenfeedback und einer fast endlosen Steigerungskurve in eine schwindelerregende Höhe schraubt. Insgesamt gelingt Sarah Bethe Nelson auf Albumlänge trotz der stilistischen Bandbreite ein fast hermetisch abgeschlossenes Werk, das wie vom Titel versprochen an allen Ecken und Enden ein sonderbares Schimmern verströmt. Nichts ist so wie es scheint, und am Ende blickt man ratlos bis verzaubert zurück und hört die Platte sicherheitshalber mindestens noch ein mal von vorne.

Nebenan im Plattenregal:
Big Search – Slow Fascination (2019)
Bonny Doon – Long Wave (2018)
Dick Stusso – In Heaven (2018)

 

Faye Webster – Atlanta Millionaires Club (2019)

Das gibt’s nur in Atlanta: Faye Webster singt abgezockte Songs über R&B-Grooves, aber kann nicht genug bekommen vom Country-Sirup aus dem Pedal Steel.

Secretly Canadian / 24. Mai 2019

Als Künsterpersönlichkeit ist Faye Webster nicht leicht zu fassen. Atlanta scheint eine große Rolle für sie zu spielen, denn in den letzten Jahren dokumentierte sie die Rapszene der Südstaaten-Metropole als Fotografin und steuerte regelmäßig Vocals zu Aufnahmen des lokalen R&B-Kollektivs PSA bei. Nachdem ihr Debüt-Album etwas unentschlossen zwischen Singer/Songwriter-Pop und Indie Country pendelte, startet sie mit Atlanta Millionaires Club als vielschichtiges Produkt ihrer musikalisch sehr vielfältigen Heimatstadt neu.

Aus der Countryszene hat sie vor allem das Pedal Stelle mitgenommen, das in vielen Songs süßlich die Harmonien verklebt oder wenigstens leise im Hintergrund vor sich hin singt. Die traditionsreiche und lebendige R&B-Szene schlägt sich in zahlreichen schleppenden Grooves nieder, in funkigen Instrumentierungen mit Bläsersätzen und im hitzigen Zusammenspiel des Studiopersonals.

Eine ambitionierte Mischung, die aber ausgezeichnet zu den verträumten Songs mit erstaunlich geradlinigen Texten passt, meistens erzählt Faye Webster ganz konkrete Erlebnisse und erzeugt nur mit dem melodischen Spannungsbogen so etwas wie lyrischen Mehrwert. Ein unauffällig komplexes Album mit starker persönlicher Handschrift, das auf den ersten Blick unzusammenhängende Stränge der amerikanischen Popkultur fruchtbar ineinander flechtet.


Nebenan im Plattenregal:
Hannah Cohen – Welcome Home (2019)
Stella Donnelly – Beware Of The Dogs (2019)
Matty – Déjàvu (2018)

Hannah Cohen – Welcome Home (2019)

Schrullige Idylle: Hannah Cohen entflieht dem High-Life im Big Apple und erfindet sich neu als genialisches Landei.

Bella Union / 26. April 2019

Wenn dir in deiner furzkleinen Pärchenwohnung die Decke auf den Kopf fällt, bleibt eigentlich nur noch eins: Trennung und Neuanfang! Eine eher schlechte Idee, wenn man mit einem begnadeten Gitarristen und Produzenten zusammenlebt und gerade an seiner zweiten Platte werkelt. Also hat Hannah Cohen das einzig richtige gemacht und ihren Sam (Nachname Owens, Künstlernachname Evian) mitsamt seinem Equipment und einigen Mitmusikern in ein Chalet auf dem Land entführt. Genauer gesagt in den traditionsreichen Pop-Rückzugsort Woodstock, wo schon Bob Dylan vor den Ablenkungen des Großstadtdschungels in Deckung ging.

Die fertige Platte heißt nicht nur Welcome Home, sondern klingt auch genau so: Einladend, heimelig und analog wie die Holzdielen im Video zu This is your life. Der gute Sammy hält sich angenehm zurück und lässt der auf den ersten Blick eher floralen Stimme von Hannah den Vortritt, die textlich aber einiges zu sagen hat und musikalisch jedem Song ihren durchaus unkonventionellen Stempel aufdrückt. Da endet wirklich kein Song genau dort, wo er am Anfang hinzusteuern scheint! Insgesamt ein in aller Stille krass eigenständiges Album, das die Intimität seiner Entstehung behutsam festhält und durch ein fast schon telepathisch anmutendes Zusammenspiel musikalisch konsolidiert.


Nebenan im Plattenregal:
Lorain – Through Frames (2018)
Pavo Pavo – Mystery Hour (2019)
Sam Evian – You, Forever (2018)

 

Weyes Blood – Titanic Rising (2019)

Schockierend schön und erschreckend abgründig: Weyes Blood konfrontiert die Popwelt mit einem Konzeptalbum über den Untergang der westlichen Zivilisation.

Erschienen am 5. April 2019 bei Sub Pop

Popmusik war lange ein wichtiger Bestandteil einer Wohlfühlmaschinerie, die uns Ablenkung von den wahren Problemen der Menschheit verkaufte. Das ist kein Vorwurf, offensichtlich sind solche Mechanismen in einer bestimmten Dosis überlebenswichtig. In einer globalisierten und digitalisierten Welt rücken uns die Katastrophen aber auf die Pelle und spätestens der entfesselte Klimawandel wird uns bald alle kriegen. Im Angesicht dieser globalen Bedrohung flüchtet sich auch die Musik immer tiefer in den Eskapismus der Nostalgie. Kein Wunder, dass musikalisch gerade die Jahrzehnte wiederentdeckt werden, in denen vermeintlich noch alles in Ordnung war.

Ein kleiner Vorgeschmack auf Youtube:

Nun gibt es wenige Platten, auf denen die 70er Jahre als Symphonie der Glückseligkeit farbenfroher und euphorischer auferstehen. So schön und glitzernd wie in den großformatigen Klanggemälden auf Titanic Rising wurde die Welt musikalisch nicht mal von ELO oder Paul McCartney abgebildet. Doch hinter den meisten Melodien von Weyes Blood lauert das nackte Grauen, jedes Gitarrensolo führt ins Verderben und unter jeder Streicherkaskade wartet ein Abgrund. Und wir können uns jederzeit entscheiden: Lassen wir uns von der oberflächlichen Schönheit sanft streicheln oder hören wir wirklich mal genau hin und sehen der Realität ins Auge? Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, Weyes Bloods drittes Album ist ein Meisterwerk und jetzt schon in der engeren Auswahl für die Platte des Jahres.

Das ganze Album bei Bandcamp:



Nebenan im Plattenregal:

Tiny Ruins – Olympic Girls (2019)
Pavo Pavo – Mystery Hour (2019)
Wilder Maker – Zion (2018)

Tiny Ruins – Olympic Girls (2019)

Die Zukunft des Folk liegt immer in der Vergangenheit: Das dritte Album von Tiny Ruins aus Neuseeland schöpft aus altbekannten Quellen eine ganz neue Klangwelt und überwindet die Gravitation des Alltags mit ansteckender Leichtigkeit.

Erschienen am 1. Februar 2019 bei Marathon

The Soft Rock Café empfiehlt Tiny Ruins auf Tour:
6. April | Neubad | Luzern
8. April | Milla | München
9. April | Karlstorbahnhof | Heidelberg
10. April | Privatclub | Berlin
11. April | Feinkost Lampe | Hannover
Tickets hier!

Tiny Ruins ist offiziell das Soloprojekt von Hollie Fullbrooks, doch tatsächlich arbeitet die Neuseeländerin schon seit Jahren mit der gleichen Besetzung an Begleitmusikern zusammen. Inzwischen umgibt das äußerst luftige Zusammenspiel der Band die schwerelosen Gitarrenanschläge so organisch, dass die Trennlinie zwischen instrumentalem Fundament des Songs und gemeinsam entwickelten Arrangements immer mehr verschwimmt. Dabei bleibt das Klangbild glasklar wie die Luft an einem sonnigen Wintermorgen und gibt Fullbrooks ausdrucksstarke Alto in einem geradezu überwältigenden Detailgrad wieder.

Ein kleiner Vorgeschmack auf Youtube:

Das Gitarrenspiel von Tiny Ruins war schon immer verblüffend, in Sachen Songwriting durchbricht sie mit Olympic Girls allerdings noch mal eine ganz entscheidende Schallmauer. Die lyrisch anspruchsvollen, oft verschlungen narrativen Texte werden frei auskomponiert, lassen herkömmliche Formen immer wieder links liegen und bleiben doch immer unmittelbar eingängig. Auf die ganze Länge des Albums bezogen ergibt sich außerdem ein großer thematischer Bogen mit reichlich inhaltlicher Eigendynamik. Wer Indie Folk als gefälligen Soundtrack für Hipster-Cafés einsortiert hat, wird an der ein oder anderen Stelle eine gewisse Überforderung erfahren. Das interessierte Publikum findet in Olympic Girls aber eine vielschichtige Platte, die mit jedem Hören mehr von ihrem großartigen Facettenreichtum preisgibt.

Das ganze Album bei Bandcamp:

Nebenan im Plattenregal:

Steve Gunn – The Unseen in Between (2019)
Haley Heynderickx – I need to start a garden (2019)
Anna St. Louis – If Only There Was A River (2018)

Damien Jurado – The Horizont Just Laughed (2018)

Damien Jurado ist schon seit den Neunzigern im Geschäft und hat die Nerven, sein Album vor dem digitalen Release erst mal sechs Monate ausschließlich auf Vinyl vertreiben zu lassen. Das kann tatsächlich funktionieren, vor allem wenn das Material so unwiderstehlich ist wie in diesem Fall.

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Erschienen am 4. Mai 2018 auf Secretly Canadian

Nach siebzehn Studioalben sollte man eigentlich das Gefühl haben, den Musiker Damien Jurado einigermaßen gut zu kennen. Weit gefehlt, auch mit „The Horizont Just Laughed“ gelingt es dem Kritikerliebling, im ausgetretenen Feld zwischen den Genres Singer/Songwriter und Indie Folk neue, bislang weitgehend unbeschrittene Pfade ausfindig zu machen. Das trifft in erster Linie auf Songs wie „Percy Faith“ zu, die mit einer für ihn eher untypischen Fröhlichkeit vor sich hin grooven.

Das Musikvideo zur Single „Percy Faith“ auf Youtube:

Kaum hat man sich auf die gute Laune eingelassen, packt Damien Jurado aber seine unverwechselbar zerbrechlichen Minimalsongs aus. Ein paar traurige Akkorde, sparsames Fingerpicking und poetische Zeilen, schwerelos und vom Winde verweht. In diesem Fall aber eine Einladung zu einem Video mit einer überwältigenden Bildsprache.

Das Musikvideo zur Single „Over Rainbows and Rainier“ auf Youtube:

Musikalisch und textlich ist Damien Jurado schon lange über jeden Zweifel erhaben. Eines Tages wird man ihn hoffentlich als sensiblen Chronisten seiner Zeit feiern. Als einen, der über Jahrzehnte frei von Zeitgeist und Retromanie seine Kunst abliefert und mit jedem Song ein ästhetisches Statement setzt. Ob man seinen Tonfall als transzendentrale Weltabgewandtheit oder Selbstmitleid empfindet, bleibt dabei natürlich jedem selbst überlassen. Unbestreitbar ist allerdings, dass Jurado einer beeindruckenden Reihe von exzellenten Alben nun ein weiteres bestechendes Kapitel hinzugefügt hat.

Das ganze Album auf Spotify:


Ähnliche Platten:
The Saxophones – Songs of the Saxophones (2018)
Sam Evian – You, Forever (2018)
Michael Nau – Michael Nau & The Mighty Thread (2018)

Buck Meek: Buck Meek (2018)

Als schrulliger Gitarrist von Big Thief ist Buck Meek spätestens seit dem grandiosen Auftritt bei NPR’s Tiny Desk Concert bekannt. Auf seinem Debüt als Solokünstler überzeugt er aber vor allem als poetischer Songwriter mit Blick für alltägliche Abgründe.

Buck Meek Album on Keeled Scales

Erschienen am 18. Mai 2018 bei Keeled Scales

Wer ausgiebiges Gegniedel auf der elektrischen Gitarre wie bei seiner Arbeit für Big Thief erwartet hat, wird vielleicht ein bisschen enttäuscht sein. Denn das erste Album von Buck Meek auf dem geschmackvollen texanischen Label Keeled Scales definiert den Topos des betont beiläufigen Klampfenspiels neu. Die Songs sind eher spärlich instrumentiert, nasal am Mikrofon vorbeigenuschelt und enden gefühlt mitten in der dritten Strophe auf irgendeinem Akkord. Das wirkt oft nicht nur skizzenhaft, sondern auch wie ein Intro zu einem Song, der dann doch nicht kommt. Die kalkulierte Unfertigkeit mag für manche Hörer unbefriedigend sein, entwickelt aber durchaus seinen ganz eigenen Reiz.

Hier und da kriegt Buck Meek allerdings locker die Kurve und hat mit Cannonball und Maybe sogar zwei kleine Hits im Gepäck, die eine grandiose Chemie innerhalb der Band einfangen und ordentlich rocken. Neben dem Slowmo-Blues Sue und der abschließenden Countryballade Fool me sind es außerdem die einzigen Nummern, bei denen die Miniaturlänge von zweieinhalb Minuten überschritten wird. Insgesamt ein sehr kurzes, aber auch kurzweiliges und intensives Album, in dem ganz unscheinbar genug gute Ideen für ein Doppelalbum versteckt sind.

Hier könnt ihr weiterhören:
OCS – Memory of a cut off head: Verspultes Folk-Vergnügen

Big Thief – Capacity (2017)
Big Thief – Masterpiece (2016)

Haley Heynderickx – I need to start a garden: Folksongs von einem anderen Stern

Haley Heynderickx aus Portland blickt mit den fragilen Preziosen auf ihrem Debüt zwar ganz tief in ihr Innenleben, die überragende Performance katapultiert sie aber auf Anhieb in die höchsten Sphären des Folk-Universums.

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2.3.2018 / Mama Bird Recording Company

Introvertierte Folkplatten schießen zur Zeit wie Pilze aus dem Boden. Denn erstens sprechen diese der Generation „Neo-Biedermeier“ aus dem Herzen, die stets auf der Suche nach dem passenden Soundtrack für das Cocooning-Wochenende in der Altbauwohnung mit „schön Kochen“ und „gemütlich Lesen“ ist. Zweitens ist die Studioproduktion günstig, die Kosten für die Tour sind überschaubar und die Chancen auf ein Listing in erfolgsversprechenden Playlists wie „Kaffeehausmusik“ stehen gut. Das Revival der Singer/Songwriter entlarvt also vor allem das gegenwärtige Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität, sowohl bei den Konsumenten als auch auf Seiten der Musikindustrie. Tatsächlich haben jedoch die wenigsten Beiträge zu dieser Welle genügend Substanz, um nachhaltig Eindruck zu hinterlassen. Das gelingt Haley Heynderickx vor allem dadurch, dass sie die Grenzen des Genres immer wieder herausfordert, überwindet und schließlich stilistisch weit darüber hinauswächst.

Dabei hat diese Musik so gar nichts rebellisches, aufständisches, sie fließt eher gleichmäßig und natürlich vor sich hin wie ein klarer Bach in den Bergen. Diese phlegmatische Distanz könnte darauf zurückzuführen sein, dass Haley Heynderickx  bereits drei mal an der Produktion ihres ersten Albums scheiterte und immer wieder bei Null anfangen musste. Umso erstaunlicher ist deshalb die expressiven Qualität ihrer Performance, die in keinem Moment die Spannung verliert. Haley Heynderickx deutet an, dass sie eines Tages zu den ganz Großen der Folkmusik stoßen könnte und schenkt uns ein nicht nur eine großartige Platte zum Zuhören und Durchatmen, sondern auch eines der beeindruckendsten und charakterstärksten Debüts der letzten Monate.

Wer bei diesem Album vom nächsten Wanderurlaub träumt, trinkt den Filterkaffee am morgen vielleicht auch gerne zu diesen Platten:
Bedouine – Bedouine (2017)
Tara Jane O’Neil – Tara Jane O’Neil (2017)
The Weather Station – The Weather Station: Intimer Folk mit elektrischen Impulsen