Drugdealer – Raw Honey (2019)

Zeitsprung in die weirden Siebziger: Drugdealer pflügt mit Liebe zum Detail und viel Augenzwinkern durch eine Szenerie aus bekifften Rockstars und koksenden Hitproduzenten.

Erschienen am 18. April 2019 bei Mexican Summer

Drugdealer ist weniger eine Band als eine Spielwiese für Michael Collins und seine musikalischen Freunde, zu denen bekanntere (Ariel Pink, Weyes Blood) und unbekanntere Künstlerpersönlichkeiten (Harley Hill-Richmond, Doug Poole) gehören. Schon das überragende Debüt The End of Comedy vor drei Jahren war eine schillernde Ansammlung von skizzenhaften Studien im Bereich 70er Popkultur, auf Raw Honey wird dieser Weg noch konsequenter weitergeführt. Das Album beginnt mit einer instrumentalen Nummer mit dem treffenden Titel You’ve got to be kidding, die ohne weiteres als Titelmelodie für einen Softporno durchgehen würde. Dann kommt Weyes Blood, die vor wenigen Wochen mit Titanic Rising ihr bislang bestes Album veröffentlicht hat, und trällert eine ausufernde Countryrock-Ballade.

Ein kleiner Vorgeschmack auf Youtube:

Das Herzstück des Albums ist aber die Single Fools, ein Song, für den Musikproduzenten vor 45 Jahren sogar ihre eigene Großmutter verkauft hätten. Den spezifischen Tonfall der damals im Goldrausch befindlichen Musikindustrie trifft Drugdealer wie immer mit millimetergenauer Präzision. Spätestens anhand des dazugehörigen Videos (und allerspätestens am Ende des Schlagzeug-Breaks bei 1:45) wird aber deutlich, dass es sich hier nicht nur um eine Hommage, sondern auch um eine Satire handelt. Die Gratwanderung zwischen pedantischer Rekonstruktion und messerscharfem Humor, zwischen großen Gefühlen und kleinen Gemeinheiten gelingt auch dank der fantastisch aufgelegten Gaststars durchweg und beschert uns nicht nur eine großartige Platte, sondern auch einen erfrischend albernen Gegenentwurf zur meistens bierernsten Rock-Retromanie.

Das ganze Album bei Bandcamp:

Nebenan im Plattenregal:

Weyes Blood – Titanic Rising (2019)
Charles Watson – Now That I’m A River (2018)
Buxton – Stay Out Late (2018)

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Connan Mockasin – Jassbusters (2018)

In der blühenden Musikszene Neuseelands hat sich Connan Mockasin über die Jahre den Status des Vorzeige-Weirdos erarbeitet. Auf seinem vierten Album erzählt er nun die Geschichte der fiktiven Band Jassbusters mithilfe von leise verschwurbeltem Soft Rock.

Erschienen am 12. Oktober 2018 bei Mexican Summer

Die Jassbusters sind eigentlich nichts weiter als eine Gruppe von Lehrern mittleren Alters, die eine Band gründen und seichte Grooves spielen. Die Charaktere haben zwar Namen, werden aber kaum näher beleuchtet. Auch eine Handlung fehlt weitestgehend, eigentlich geht es immer nur um die Musik. In Deutschland würde so etwas wahrscheinlich von Helge Schneider kommen und fürchterlich nach Jazz, Bier und billigem Rasierwasser riechen. Doch Connan Mockasin beweist mit diesem schrägen Konzept mal wieder, dass er Neuseelands schillerndster Popmusiker ist: Kaum hatte er sich als Kollaborateur von großen Stars wie James Blake oder MGMT ein wenig Rampenlicht gesichert, stürzt er sich Hals über Kopf in das absurdeste Albumprojekt seit Frank Zappas Joe’s Garage.


Ein kleiner Vorgeschmack auf Youtube:

Minutenlang nuschelt sich Mockasin also fast unverständlich durch Beschreibungen von irgendwelchen belanglosen Szenerien, ohne Unterlass nudelt er mit einem unterbelichteten Gitarrensound über sehr wenige sanfte Akkorde. Zwischen den Songs gibt es kryptische Hörspielfragmente, die vorgeben, den nicht mal ansatzweise nachvollziehbaren Pseudo-Plot voranzutreiben. Das klingt auf den ersten Blick wie das Produkt einer bekifften Nacht im WG-Zimmer, so ziellos und windschief wird um den heißen Brei herumgespielt. Doch in diesem zur Schau gestellten Nebel der Lethargie verstecken sich Anmutungen eines atmosphärischen Narrativs und schließlich auch unzählige große Pop-Momente, die erst beim wiederholten Hören deutlich hervortreten. Ein extrem wunderliches Album, dessen Entdeckung sich für ein aufgeschlossenes Publikum über alle Maßen und auf Dauer lohnt.


Das ganze Album auf Bandcamp:


Nebenan im Plattenregal:

Kevin Krauter – Toss Up (2018)
Nicholas Krgovich – Ouch (2018)
Stephen Steinbrink – Utopia Teased (2018)

Kevin Krauter – Toss Up (2018)

Als Bassist der grandiosen Band Hoops ist Kevin Krauter bereits positiv in Erscheinung getreten. Sein erstes eigenes Album besticht mit großartigem Songwriting, faszinierenden Arrangements und einem unglaublich entspannten Vibe.

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Erschienen am 15. Juni 2018 auf Bayonet Records

In vielen guten Bassisten schlummert ein sehr guter Solokünstler: Vor kurzem erst hat Jackson MacIntosh von TOPS gezeigt, wie man die tragende Rolle im Hintergrund erfolgreich gegen das Rampenlicht am Mikrofon eintauschen kann. Auch Kevin Krauter kann sich rühmen, zum einzigartigen Sound seiner Band Hoops mehr beizutragen als nur ein unauffälliges Fundament an Grundtönen. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass sich der junge Mann aus Indiana nun endlich zusammengerissen hat und uns nach zwei halbärschig veröffentlichten EPs endlich ein gescheites Album serviert. Im Vergleich zu Hoops ist der Sound noch mal deutlich entspannter ausgefallen, und das obwohl sich der Weichzeichner-Nebel aus endlosen Hallfahnen und Tape-Echos durchaus etwas verzogen hat.

Das Musikvideo zu Keep Falling In Love auf Youtube:

Kevin Krauter legt deutlich mehr Wert auf klanglich Transparenz, auch wenn das Endergebnis immer noch weit weg ist von einer modernen Hochglanzproduktion. Die ganze Platte hätte ohne weiteres Mitte der Siebziger entstehen können und wäre dann wahrscheinlich auf Asylum Records oder einem anderen Klassiker-Label erschienen. Aber keine Angst, es bleibt nicht allein bei seichtem Retro-Gedudel und nostalgischen Glücksgefühlen. Denn die Songs haben durchaus Ecken und Kanten, vor allem textlich und auf instrumentaler Ebene. Insgesamt bleibt es dennoch vor allem ein sehr gefälliges Debüt-Album, das sich als Begleitmusik zu einem guten Frühstück auf dem Balkon besonders gut eignet.

Das ganze Album auf Spotify:


Ähnliche Alben:

Nicholas Krgovich – In an Open Field (2017)
Slow Dancer – In A Mood (2017)
Hoops – Routines (2017)

Okkervil River – In the rainbow rain

Es ist total nachvollziehbar, wenn Fans von Okkervil River dieses Album nach ein paar Takten abwürgen und die Band für immer verfluchen. Allerdings verpassen sie dann eine unglaublich facettenreiche Platte, die weit über den nostalgischen Folkrock des bisherigen Schaffens der Texaner hinausgeht.

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27.4.2018 / ATO Records

Am Ende des ersten Songs zitiert die Leadgitarre minutenlang „Waterloo Sunset“ von The Kinks über einen Loop aus euphorischem Yacht Rock und flirrenden Synthies. Diese Momentaufnahme reicht aus, um die grenzenlose Spielfreude zu charakterisieren, die Okkervil River anscheinend bei den Aufnahmen zu ihrem aktuellen Album überfallen hat. Denn bisher war die Musik der Gruppe aus Austin zwar immer schön anzuhören, aber meistens eher voraussehbar als überraschend. Darunter wird jetzt ein deutlich hörbarer Schlussstrich gezogen, Wiedererkennungswert bieten auf „In the rainbow rain“ nur noch die Stimme von Will Sheff, die ungewohnte Hochglanzproduktion und die Tatsache, dass jeder Song auf seine ganz eigene Art Hitpotential hat.

Deshalb fällt es auch schwer, potentiellen Zuhörern konkret zu vermitteln, was sie zu erwarten haben. Vergleiche zu Giganten wie Pink Floyd, David Bowie, Todd Rundgren oder womöglich sogar Madonna (!) könnten im Hinblick auf bestimmte Aspekte in die richtige Richtung deuten, verbieten sich aber sowieso. Bands wie The War on Drugs, Paper Kites, Tame Impala oder My Morning Jacket haben ähnlich wenig Berührungsängste mit dem, was man als zeitlosen Mainstream bezeichnen könnte, legen sich aber stilistisch viel eindeutiger fest. Was bleibt, ist eine gewisse Ratlosigkeit und gleichzeitig ein ungläubiges Staunen über ein vollkommen unübersichtliches, aber irgendwie doch kohärentes Feuerwerk aus musikalischen Ideen, von denen die meisten erfolgreich auf dem schmalen Grat zwischen popkultureller Genialität und Kitsch ausgetragen werden.

Danach könnte man es mal mit diesen Platten probieren:
The War on Drugs – A Deeper Understanding (2017)
Dick Stusso – In Heaven
Fancey – Love Mirage (2017)

Childhood – Universal High (2017)

Das zweite Album von Childhood überzeugt mit einem fein abgeschmeckten Cocktail aus 70s Soul, psychedelischen Synthies und Yacht Rock. Die sonnendurchfluteten Grooves sorgen für gute Laune und eignen sich besonders für einen beschwingten Start in einen sonnigen Tag.

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VÖ: 21.7.2017 auf Marathon Artists
Klingt fast ein bisschen wie: Roy Ayers, Pablo Cruise, Nick HakimHomeshake
Stichworte: Morgens / Sonne / Kaffee / Zu zweit

Auf ihrem Debüt-Album hatten sich Childhood aus London noch ein wenig in der heiß umkämpften Retro-Welt zwischen Post-Punk, College Rock, Shoegaze und Dream-Pop verzettelt. Mit Universal High machen die Jungs einen großen Schritt nach vorne, denn in der dreijährigen Pause zwischen den Releases haben sie endlich einen eindeutig wiedererkennbaren, eigenen Stilmix gefunden. Der zeitliche Rahmen der Inspirationsquellen bleibt zwar ungefähr der gleiche, allerdings richtet sich der Blick nun eher auf die andere Seite des großen Teichs und auf die psychedelischen Experimente der Soulmusik in der zweiten Hälfte der Siebziger.

Im Vergleich zu stilistisch artverwandten Studio-Spezialisten spielt bei Childhood der Bandkontext und die damit verbundene Illusion einer Live-Performance aber eine wesentlich größere Rolle. Einige Songs erinnern fast ein bisschen an das kurzlebige Phänomen, das manche Musikjournalisten treffend als „Yacht Rock“ bezeichnet haben, also luftigen bis seichten Gitarrenpop mit ungenierten Anleihen aus Rock und Funk. Dieser Vergleich ist ein bisschen irreführend, da der Begriff heute eher als Schimpfwort in Gebrauch ist, denn die meisten Platten aus diesem Bereich waren schon nach kürzester Zeit wieder vergessen. Angesichts der durchgehend hohen Qualität von Universal High ist davon auszugehen, dass Childhood dieses Schicksal erspart bleibt.